Geschichte, Konzepte und aktuelle Anwendung psychotherapeutischer Verfahren
Thomas M?ller 1Claudia Witt 2
1 Charit?, Zentrum f?r Human- und Gesundheitswissenschaften (ZHGB), Institut f?r Geschichte der Medizin, Charit? - Universit?tsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
2 Charit?, Zentrum f?r Human- und Gesundheitswissenschaften (ZHGB), Institut f?r Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheits?konomie, Charit? - Universit?tsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird das Konzept und die Evaluation eines interdisziplin?ren Unterrichtsangebots vorgestellt. Zur Evaluation dieses Seminars zu Geschichte und aktueller Anwendung verschiedener Psychotherapie-Formen wurde das standardisierte „Heidelberger Inventar zur Lehrveranstaltungsevaluation" (HILVE) angewendet. Die Autoren unterrichten im Curriculum-Bereich „Grundlagen ?rztlichen Denkens und Handelns" des Reformstudiengangs Medizin an der Charit? in Berlin. Beim vorgestellten Seminar handelt es sich um eine Wahlpflicht-Veranstaltung. In diesen Seminaren wird der gesellschaftliche Kontext der Arzt-Patient-Beziehung bzw. der Aus?bung des ?rztlichen Berufs besonders betont. Mit der Integration von Humanwissenschaften in die medizinische Ausbildung wird unter anderem das Ziel verfolgt, die M?glichkeiten und Grenzen der Medizin und des ?rztlichen Handelns deutlicher wahrzunehmen sowie den Studierenden zu erm?glichen, ihre eigene Pers?nlichkeit und F?higkeit zur sozialen Verantwortung st?rker zu entwickeln.
Schlüsselwörter
medizinische Ausbildung, Geschichte der Medizin, Komplement?rmedizin, interdisziplin?re Lehre, Humanismus in der Lehre, reformierter Studiengang, Charit? Berlin
Einleitung
Der Unterricht in einem problemorientiert strukturierten und parallel zum Regelstudiengang implementierten Modell-Curriculum wurde an der Berliner Charit? zum Wintersemester 1999/2000 gestartet. ?ber diesen Reformstudiengang Medizin (RSM), der auf der gesetzlichen Grundlage des in der ?rztlichen Approbationsordnung vorhandenen Modellstudienparagraphen basiert, wurde bereits berichtet [1], [2], [3]. Zur Entwicklung des Curriculum-Teils, ?ber den in dieser Studie berichtet wird, wurde bereits in dieser Zeitschrift publiziert [4]. Human- und Gesundheitswissenschaften werden im Berliner RSM wesentlich h?her als im Regelstudiengang bewertet [5], [6], [7], [8]. Unterricht in Wahlpflichtveranstaltungen findet also auch in Seminaren zu diesen Inhalten statt. Die Lehrenden in diesem, in Anlehnung an die internationale Nomenklatur „Special Study Module" (SSM) genannten, Wahlpflichtbereich „Grundlagen ?rztlichen Denkens und Handelns" [9] sind in human-, und gesundheitswissenschaftlichen sowie in naturwissenschaftlich-biomedizinischen Disziplinen ausgebildet und beheimatet. Disziplinen, die hier bisher h?ufig vertreten waren, sind unter anderem die Geschichte der Medizin, Ethik in der Medizin, Sozialmedizin, Intensivmedizin, Neurologie, Medizinische Soziologie und Soziologie, Anthropologie, die sog. Komplement?rmedizin oder die Zeitgeschichte. Die Struktur der Seminare in diesem Wahlpflichtbereich ?hnelt mehr derjenigen der Seminare an geisteswissenschaftlichen Fakult?ten deutscher Universit?ten als denjenigen im Unterricht der medizinischen Fakult?ten. Zur bisherigen Entwicklung, dem aktuellen Stand in diesem SSM sowie den zuk?nftigen Planungen liegt ein aktueller Beitrag vor [10]. Das hier vorgestellte und evaluierte interdisziplin?re Seminar wurde mit einer Gruppengr??e von 21 Studierenden des Wintersemesters 2001/2002 durchgef?hrt und integrierte Inhalte aus den Disziplinen Geschichte der Medizin und Psychotherapie. (Die Gruppengr??e eines maximal belegten Seminars mit 21 Studierenden im Reformstudiengang Medizin an der Charit? resultiert aus den Richtlinien der Studien- und Praktikumsordnung, nach denen drei POL-Gruppen zu jeweils sieben Studierenden in einer Seminargruppe zusammenfinden. Die Seminarwahl ist dennoch POL-Gruppen-unabh?ngig, so dass Studierende verschiedener Semester an einem Seminar teilnehmen k?nnen. Im vorliegenden Fall handelte es sich um Studierende des ersten und des zweiten Studienjahres des Berliner RSM. Die in der vorliegenden Studie verwendeten Daten wurden nach Abschluss des Seminars 2002 anonym erhoben.) Da es sich bei diesem Seminarthema nicht nur um f?r die Lehre im Wahlpflichtbereich neue Inhalte handelte, sondern das Seminar dar?ber hinaus eine interdisziplin?re Unterrichtsveranstaltung ist, die in dieser Form ebenfalls zum ersten Mal angeboten wurde, erachteten wir eine systematische Evaluation dieses Seminars f?r angemessen.
Zu Konzept und Inhalt des Seminars
F?r den Entwurf eines Seminars zu den im Folgenden n?her erl?uterten Inhalten gab es mehrere Gr?nde. Vordringlich war zun?chst der Eindruck bei beiden Lehrenden, dass einerseits bei einem Gro?teil ?rztlich bzw. medizinisch T?tiger das Wissen zu aktuellen Fragen, zu Indikation, Nutzen und M?glichkeiten von Psychotherapieformen nur gering vorhanden ist, andererseits das Interesse an diesen Aspekten in der Bev?lkerung, also bei den potentiellen Nutzern dieser Therapieangebote, sehr hoch ist bzw. die Anwendung dieser Therapieformen im Rahmen des Gesundheitswesens einen, auch ?konomisch gesehen, nicht unbetr?chtlichen Faktor darstellt. Eine Vortragsreihe in einem rein medizinhistorisch ausgerichteten Seminar hatte w?hrend der Vorbereitungszeit zum hier vorgestellten Seminar bereits deutlich gemacht, dass bei Studierenden, jedoch dar?ber hinaus auch bei bereits in nervenheilkundlichen Arbeitsfeldern Praktizierenden ein hohes Interesse an der Geschichte wie auch an aktuellen Aspekten verschiedener Psychotherapieformen besteht. Die Umsetzung dieses Seminars im Rahmen des Wahlpflicht-Unterrichts im Reformstudiengang Medizin an der Berliner Charit? stellt dar?ber hinaus auch den Versuch dar, Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte der Autoren in den Unterricht zu integrieren [11], und belegt unserer Ansicht nach, dass aktuelle Forschung und Lehre sich gut verbinden lassen. Im Folgenden wird zun?chst die Struktur des Seminars vorgestellt.
Wie die Abbildung 1 [Abb. 1] verdeutlicht, dienten die ersten beiden Sitzungen des einsemestrigen Seminars der allgemeinen Einf?hrung ins Thema anhand von Einf?hrungsvortr?gen der beiden Lehrenden. In der ersten Sitzung wurde eine Einf?hrung in die Geschichte wesentlicher Entwicklungslinien der Psychotherapie des 20. Jahrhunderts gegeben. Die zweite Sitzung war dem Status der Psychotherapie im Rahmen der gegenw?rtigen Heilbehandlung sowie den aktuellen Modi der finanziellen Verg?tung dieser Leistungen im bundesdeutschen Gesundheitssystem gewidmet. In den folgenden Seminareinheiten wurde durch die Referate in Kleingruppen in Geschichte und aktuelle Fragestellungen jeder einzelnen Therapieform eingef?hrt. Die Referate sollten durch die Vermittlung von Grundwissen den jeweils in der nachfolgenden Seminarstunde stattfindenden Gastvortrag vorbereiten. Alle Referate wurden vor der Pr?sentation im Seminar mit einem der Lehrenden w?hrend eines gesonderten Termins auf Dauer, Verst?ndlichkeit, inhaltliche Koh?renz und didaktische Fragen hin diskutiert. Schl?sselfragen, die oft bereits in der Seminardiskussion der Referate w?hrend der Vorbereitungsstunde erarbeitet wurden, konnten in der darauffolgenden Seminarsitzung nutzbringend in die Diskussion mit den Gastdozentinnen eingebracht werden. Zur Erstellung der Referate wurde den Studierenden zuvor sondiertes Material zur Verf?gung gestellt. Neben gedruckten Quellen handelte es sich hierbei auch um Videomaterial sowie um via Internet erreichbare Informationsquellen. Die Studierenden wurden dar?ber hinaus aufgefordert, mithilfe einschl?giger Adressverzeichnisse und pro Referatgruppe selbst Kontakt mit mindestens einer/einem praktizierenden Psychotherapeuten vor Ort aufzunehmen. Nicht in jedem Fall kamen fruchtbare Treffen zum Informationsgewinn zustande, doch war umgekehrt jede Kontaktsuche f?r die Studierenden aufschlussreich und nutzbringend.
Die Eigenleistung der Studierenden bestand also im Wesentlichen in der seitens der Autoren eng betreuten Vorbereitung einer Seminarstunde in Kleingruppen zu 3-4 Studierenden zu einem der psychotherapeutischen Verfahren. Zu den von allen Studierenden zu erbringenden Seminaren bestand jedoch fakultativ die M?glichkeit zur Erstellung einer Seminararbeit als Hausarbeit, deren Zahl, Umfang und Struktur durch die Studienordnung des RSM geregelt ist. Zu den im Einzelnen zum Diskussionsgegenstand des Seminars erhobenen Psychotherapie-Formen bzw. psychotherapeutischen Schulen w?hrend einer Seminareinheit von zwei Doppelstunden (jeweils eine Doppelstunde ? 90 Minuten pro Woche) wurde zus?tzlich eine Expertin, also eine praktizierende Vertreterin dieser Psychotherapie-Richtung ins Seminar eingeladen. Alle Gastdozentinnen verf?gten ?ber einen guten ?berblick zur historischen Entwicklung und Etablierung dieser Therapieform am Arbeitsort Berlin bzw. hatten bereits historische Fachartikel oder Monographien zum Thema ihres Vortrags im Seminar publiziert. Das Seminar wurde unter der Zielvorstellung angeboten, dass Unterrichtseinheiten zu diesem Thema nicht nur das Interesse an historischen Fragestellungen schaffen k?nnen, sondern dar?ber hinaus auch die Expertise bzw. das Fachwissen der zuk?nftig ?rztlich T?tigen erh?hen. Informationen zu Form, Dauer und Aufwand bzw. zur historischen Entwicklung und Etablierung der Ausbildung in der jeweiligen Therapieform wurde so im Rahmen der Gastvortr?ge (und der studentischen Referate zur Vorbereitung dieser Gastvortr?ge) gesteigerte Aufmerksamkeit geschenkt.
Themenangebote des Seminars im Sinne einzelner psychotherapeutischer Schulen oder Psychotherapie-Formen waren, wie aus Abbildung 1 [Abb. 1] zu ersehen, die Verhaltenstherapie, die Kunsttherapie, die Atem- und Leibtherapie als ein auch k?rpertherapeutisch orientiertes Verfahren sowie die Familienaufstellung nach Hellinger. Psychotherapie-Formen, die im Rahmen der Einf?hrungsvortr?ge, der Referate der Studierenden sowie der Abschlussdiskussion ebenfalls Gegenstand des Seminars waren, ohne dass hierf?r Gastdozentinnen eingeladen werden konnten, waren die Psychoanalyse und die Gestalttherapie. Die Auswahl der in Abbildung 1 [Abb. 1] aufgelisteten Psychotherapie-Formen stellte hier keinesfalls eine subjektive Bewertung der Autoren bzw. Dozenten dar, sondern ergab sich aus der Verf?gbarkeit von Expertinnen und Experten, die zur aktuellen Anwendung einer Psychotherapie-Form wie auch zu ihrer regionalen Etablierungsgeschichte ?ber ein umfassendes Wissen verf?gten. So finden sich einige gut etablierte Psychotherapie-Formen in dieser kleinen Auswahl nicht wieder, andererseits handelt es sich nicht bei allen der genannten Formen um psychotherapeutische Verfahren, deren Anwendung seitens der gesetzlichen Krankenkassen verg?tet wird. Allen gemeinsam ist jedoch eine hohe Pr?senz in einschl?gigen Rubriken der f?r Nutzer relevanten Laienpresse der Stadt Berlin.
Im Sinne der Aufgabenstellung medizin- und wissenschaftshistorischen Unterrichts an den medizinischen Fakult?ten, insbesondere hinsichtlich der Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus, ist anzumerken, dass kaum ein anderes Arbeitsfeld, unabh?ngig davon, ob man es mit naturwissenschaftlichen oder geisteswissenschaftlichen vergleicht, in derart hohem Ma?e von den Entwicklungen w?hrend der Jahre des Nationalsozialismus beeinflusst wurde, wie die verschiedenen Formen der Psychotherapie, unter deren Akteuren und Akteurinnen sich im R?ckblick eine hohe Zahl von Menschen finden, die w?hrend dem Nationalsozialismus aus ethnischen, politischen und / oder anderen Gr?nden verfolgt wurden. Somit sollte im Unterricht zu diesen Inhalten hinsichtlich des Aspekts „Kontinuit?ten und Br?che" auch auf die Nachkriegs-Entwicklung in diesen T?tigkeitsfeldern Gewicht gelegt werden [12].
Die standardisierte Evaluation des Seminars
Das Seminar wurde von allen teilnehmenden Studierenden mit dem „Heidelberger Inventar zur Lehrveranstaltungs-Evaluation" (HILVE) evaluiert. Dieser Fragebogen ist in der Evaluation von Lehrveranstaltungen an deutschsprachigen Universit?ten gut etabliert [13]. Dar?ber hinaus liegt eine gro?e Zahl an Anwendungsbeispielen samt Ergebnissen aus den verschiedensten Anwendungsfeldern, vor allem jedoch aus den Sozialwissenschaften und der Philologie, vor ([13], S. 44 f.).
Zur Beschreibung des Fragebogens selbst: Der HILVE-Fragebogen stellt ein standardisiertes Erhebungsinstrument dar. Dieses Instrument bildet verschiedene Aspekte der Qualit?t einer Lehrveranstaltung ab. Es beinhaltet 41 Einzelfragen, die jeweils auf einer siebenstufigen Skala beantwortet werden. Mehrere Fragen werden dann zu einem der elf Aspekte der Kursqualit?t zusammengefasst, die sich ?ber den Fragebogen verteilt wiederfinden. Der Fragebogen besteht aus drei Teilen, zun?chst aus einem Item-Basis-Satz, welcher f?r einen Gro?teil universit?rer Veranstaltungen geeignet ist, zweitens aus Platzhaltern f?r frei w?hlbare Items, in denen skalierte Antwortm?glichkeiten zur Anwendung kommen, sowie drittens aus Bereichen, in denen die M?glichkeit gegeben ist, Bemerkungen zur Evaluation frei zu formulieren. Hier k?nnen auch durch den Bogen nicht thematisierte St?rken und Schw?chen angesprochen werden. Der von uns eingesetzte Fragebogen bietet dar?ber hinaus die M?glichkeit, dozenten-spezifische Bewertungen zu erhalten.
Der R?cklauf der Frageb?gen kann mit 19 von 21 m?glichen R?ckmeldungen als sehr gut gewertet werden. Im Ergebnis ?berdurchschnittlich gut bewertet wurden die Aspekte Organisation des Seminars und Auswahl der Seminarinhalte, die Beziehung zwischen theoretischen Problemstellungen und deren N?he zur Praxis der psychotherapeutischen Arbeit. Au?erdem wurden als ?berdurchschnittlich gut bewertet: Die allgemeine Bedeutung der diskutierten Themen sowie die Motivation, solche Aspekte ?rztlichen Handelns kritisch zu reflektieren. Die Mehrheit der Teilnehmenden gab zu Protokoll, dass dieses Seminar ihr Interesse an der Medizin insgesamt, auch ?ber die konkreten Seminarinhalte hinaus, erh?ht habe. Im Folgenden findet sich das Gesamtergebnis zun?chst in Tabellenform dargestellt und wird anschlie?end en d?tail erl?utert.
Mit der Gesamtnote f?r die Seminarveranstaltung am ehesten vergleichbar ist der zusammengef?hrte Aspekt „allgemeine Beurteilung". Die Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt, dass die Bewertungen in diesem Aspekt f?r das Seminar mit einem Wert von 2,3 ?ber dem Wert der Normalstichprobe liegen. Dieser Wert der Normalstichprobe gibt f?r einen Aspekt der Befragung das durchschnittliche Ergebnis einer Universit?tsveranstaltung an. F?r fast alle anderen Aspekte gilt ebenfalls, dass sie zumeist deutlich ?ber dem Null-Wert liegen. Hervorzuheben sind im Falle dieses Seminars insbesondere die Evaluations-Aspekte „Beteiligungsm?glichkeiten" und „Diskussionsg?te". Hier werden Werte erzielt, die nur von ganz wenigen Universit?tsveranstaltungen erreicht werden. Denn es gilt, dass oberhalb der 10-Punkte-Linie etwa 15% und oberhalb der 20-Punkte-Linie nur etwa 2,5% aller Universit?tsveranstaltungen liegen. Werte ?ber 30, wie hier f?r den ?u?erst positiv evaluierten Aspekt „Beteiligungsm?glichkeiten", sind selten. Lediglich f?r die Aspekte „Arbeitsmenge" und „?berforderung" zeigen sich im Seminar unterdurchschnittliche Ergebnisse.
F?r einen Vergleich der Evaluationsergebnisse dieser Unterrichtsveranstaltung w?re es notwendig, dass auch andere, ?hnliche Seminarangebote bzw. durchgef?hrte Seminare in den genannten Disziplinen mithilfe standardisierter Instrumente evaluiert werden. Vergleichende Aussagen k?nnen hier also nicht gemacht werden, zumal interdisziplin?re Unterrichtsangebote zwischen diesen oder anderen F?chern an medizinischen Fakult?ten in Deutschland nach wie vor die Ausnahme, nicht jedoch die Regel darstellen.
Folgende dozenten-spezifische Bewertungen waren zu erhalten: Aus Praktikabilit?tsgr?nden wurden in dieser Auswertung Seminarleiterin und Seminarleiter zusammen bewertet. Hierzu werden im Fragebogen acht Fragen gestellt. Diese Fragen wurden im verwendeten Fragebogen zu „Aspekten" zusammengefasst. In dieser Evaluation lauten die drei zusammengefassten Aspekte „Kompetenz", „Motivation" und „Atmosph?re". Die durchschnittliche Bewertung einer Lehrperson l?ge wiederum um den Wert der Normalstichprobe. Abgesehen von einem leicht unterdurchschnittlich eingestuften Wert f?r den Aspekt „Kompetenz", handelt es sich bei den Bewertungen der Aspekte „Motivation" und „Atmosph?re" um weit ?berdurchschnittliche Werte.
Der vorgegebene Rahmen eines standardisierten Instruments lie? f?r die Evaluation der einzelnen Gastdozentin lediglich den Bewertungsspielraum von nur jeweils einer sog. freien Frage zu, in der letztlich alle Aspekte des Unterrichts dieser Person insgesamt zu beurteilen waren, was geringere Interpretationsm?glichkeiten zul?sst. Zudem fielen diese Bewertungen interindividuell stark auseinander.
In einer zus?tzlich zur standardisierten Evaluation durchgef?hrten m?ndlichen Diskussion wurden folgende Aspekte kritisiert bzw. zur Verbesserung des Seminars vorgeschlagen: Die Zeit f?r die Diskussion wurde h?ufig als nicht ausreichend empfunden. Die Integration einer breiteren Auswahl von psychotherapeutischen Schulen, wie beispielsweise den humanistisch ausgerichteten Psychotherapie-Formen, oder auch von Verfahren wie der Hypnose, wurde f?r die Zukunft gew?nscht. Die Kriterien der Zusammenstellung der Seminarinhalte sollten transparenter gestaltet werden, m?glicherweise unter Ber?cksichtigung der W?nsche von teilnehmenden Studierenden. Inhaltliche ?berschneidungen zwischen den Referaten der Studierenden und den Vortr?gen der Gastdozentinnen und -dozenten sollten durch Vorabsprachen stringenter vermieden werden. Die Erl?uterung der praktischen Therapie-Methoden anhand von Fallbeispielen, auch unter Verwendung von Unterrichts-Videos, wurde als sehr gelungen und dem Verst?ndnis zutr?glich bewertet.
Diskussion
Wie die Auswertung zeigt, muss die hier vorgestellte Seminarveranstaltung insgesamt als ein positiv evaluiertes und damit erfolgreiches Unterrichtsmodul angesehen werden. Aus unserer Sicht dient diese Untersuchung jedoch auch dazu, allgemein g?ltige Lehren f?r den Unterricht an medizinischen Fakult?ten zu ziehen. Wie die Ergebnisse zeigen
• ist es grunds?tzlich m?glich eine interdisziplin?re Seminarveranstaltung mit dennoch ?berdurchschnittlicher G?te zu erzielen
• geben die Evaluationsergebnisse einen deutlichen Hinweis darauf, zu welchem Aspekt der Seminarstruktur zuk?nftig eine gezielte Verbesserung dieses Unterrichtsangebots vorgenommen werden sollte
• kann ein Transfer der Ergebnisse aus der akademischen Forschung in die Lehre auch bei einem zeitlich engem Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre erfolgreich geleistet werden.
Insgesamt ist zur Beurteilung also zu sagen, dass bei der zuk?nftigen Durchf?hrung des Seminars, wie die Evaluation der Aspekte „Arbeitsmenge" und „?berforderung" zeigt, hinsichtlich der Anforderungen an die Studierenden eine Anpassung vorzunehmen ist. Hinsichtlich des leicht unterdurchschnittlich eingestuften Werts f?r den Aspekt „Kompetenz" ist zu pr?zisieren, dass eine unverzerrte Beurteilung seitens der Studierenden aufgrund der aktiven Teilnahme der Gastdozentinnen hier schwerer herzustellen war. Da die Gastdozentinnen sich in den von ihnen selbst geleiteten Seminarsitzungen daf?r aussprachen, auch die Diskussionsleitung und Moderation zu ?bernehmen, was unterschiedlich gut gelang, und die Seminarleiter sich hier mit Interventionen zur?ckhielten, war dar?ber hinaus der Anteil der letzteren an der aktiven Gestaltung der Seminarsitzungen in diesem Punkt eingeschr?nkt. Andererseits wiederum war dies erw?nscht, um einen Unterrichtsstil herzustellen, der „Studierenden-zentriert" sein sollte. In Bezug auf das Gesamtdesign des Seminars besteht hier offensichtlich noch Verbesserungsbedarf.
Wir gewannen dar?ber hinaus den deutlichen Eindruck, dass es m?glich ist, auch in Unterrichtsveranstaltungen, die in hohem Ma?e theoretisches Wissen vermitteln sollen, wie hier zum Beispiel aus den Disziplinen Geschichte der Medizin und Psychotherapeutischen Medizin, einen als bereichernd empfundenen Praxisbezug herzustellen. Dies erachten wir als umso wichtiger, da es sich um allgemeine Unterrichtsveranstaltungen f?r Studierende der Humanmedizin und nicht um Fort- und Weiterbildungs-Veranstaltungen der speziell in diesem Bereich T?tigen handelt. Aus unserer Sicht ist ?berdies eine Qualit?tssicherung in der Lehre an medizinischen Fakult?ten nicht ohne standardisierte Evaluation m?glich. Nicht allein die Evaluation an sich bringt interessante Ergebnisse hervor, sie ver?ndert auch zuk?nftige Seminarplanungen positiv - und somit die Lehre insgesamt.
Hinsichtlich der Vor- und Nachteile einer standardisierten Evaluation ist Folgendes zu diskutieren: Insgesamt wurde im Rahmen der m?ndlichen Nachbesprechung in deutlicherer Form, als die Struktur des HILVE-Fragebogens dies zul?sst, die positive Kritik ge?u?ert, dass sich die eigene Vorbereitung auf ein Thema seitens der Studierenden gerade in Zusammenhang mit der nachfolgenden M?glichkeit der Diskussion einer Psychotherapie-Form mit einer sog. Expertin als hilfreich, anregend und fruchtbar erwies. Da sich das Seminar dar?ber hinaus eines hohen Zuspruchs erfreute, d.h. die maximale Zahl an Studierenden erreicht wurde, keine Studierenden das Seminar verlie?en, um eine Ersatzveranstaltung des folgenden Semesters zu w?hlen und die m?ndliche Diskussion wie auch die standardisierte Evaluation ein insgesamt positives Ergebnis erkennen lassen, sollte diese Seminarveranstaltung auch in Zukunft zum Seminarangebot im RSM geh?ren. Aus unserer Sicht ist dies erfreulich. Die Frage jedoch, ob solcherart interdisziplin?r gestaltete Seminare neben der Anwendung in Reformmodellen medizinischer Ausbildung nicht auch in anderen Unterrichtsbereichen des Regelstudiengangs angeboten werden k?nnten, ist von ebenso hoher Bedeutung.
Danksagung
F?r die Diskussion der Vorfassungen sowie hilfreiche Anmerkungen zu diesem Beitrag danken wir Prof. Walter Burger und Dr. Claudia Kiessling, beide Arbeitsgruppe Reformstudiengang Medizin, sowie den Mitgliedern des Unterausschusses "Grundlagen ?rztlichen Denkens und Handelns" des Studienausschusses f?r den Reformstudiengang Medizin (RSM) an der Charit?. Der Carl-Gustav Carus Stiftung danken wir f?r ihre Unterst?tzung in der Entwicklung des Curriculum-Bereichs.
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