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Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

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Kongressbericht
Humanmedizin

E-Learning: Aktueller Stand und Chancen in der Allgemeinmedizin Frankfurt a.M. 08.-09. Juli 2005

Horst Christian Vollmar 1
Uta-Maria Waldmann 2
 Jochen Gensichen 3
Andreas C. S?nnichsen 4

1 Medizinisches Wissensnetzwerk evidence.de, Kompetenzzentrum f?r Allgemeinmedizin und ambulante Versorgung, Universit?t Witten/Herdecke, Witten, Deutschland
2 Abteilung Allgemeinmedizin, Universit?t Ulm, Ulm, Deutschland
3 Institut f?r Allgemeinmedizin, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universit?t, Frankfurt/Main, Deutschland
4 Abteilung f?r Allgemeinmedizin, Pr?ventive und Rehabilitative Medizin, Philipps-Universit?t Marburg, Marburg, Deutschland




Kongressbericht

Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft f?r Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM) 2004 entstand die Idee, E-Learning-Aktivit?ten in der Allgemeinmedizin sichtbar zu machen und zu b?ndeln. Ein Kongress sollte die allgemeinmedizinischen Vertreter aus Lehre und Forschung sowie Industrievertreter zusammenbringen, um das Spektrum der M?glichkeiten und laufende Projekte kennen zu lernen. Mit motivierten Referenten, ?ber 60 aktiven Teilnehmern und einem positiven Feedback, kann der Kongress in Frankfurt am 8. und 9. Juli 2005 als erster dieser Art in Deutschland als erfolgreich bezeichnet werden.

Nach den Begr??ungen durch Prof. Gerlach vom Institut f?r Allgmeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universit?t und den Organisatoren hielt Prof. Bischoff aus L?beck das erste Referat. Er berichtete ?ber Erfahrungen aus den Online-Studieng?ngen Medieninformatik und Wirtschaftsingenieur und konfrontierte die meisten Teilnehmer mit der Aussage, dass keine einheitliche Definition von E-Learning existiere. Dies spiegelte sich auch insgesamt an dem breiten Spektrum der Kongressbeitr?ge wider. Seine Thesen:

• Die Betrachtung der drei Bereiche Lernen, Technik und Organisation ist entscheidend f?r den Erfolg von E-Learning. Dabei soll Lernen selbstgesteuert und lernerzentriert ablaufen. Die Technik ist ein Ko-Kriterium, sie soll m?glichste unauff?llig bleiben. Die organisatorischen Abl?ufe haben transparent und nutzerfreundlich zu erfolgen.

• Die Vorteile von E-Learning liegen im zeitlich und ?rtlich unabh?ngigen Lernen (= asynchrones Lernen).

• Begleitendes Tutoring ist wichtiger f?r den Erfolg von E-Learning-Aktivit?ten als die Qualit?t der Lernmaterialien.

• Die Verwendung von Medien soll durch rechtlich verbindliche Dokumente festgelegt werden.

• Ein wirtschaftlicher Einsatz ist nur durch den Verbund mehrerer Hochschulen zu realisieren.

Dr. Frey, als Leiter der Abteilung f?r Unterrichtsmedien der Universit?tsklinik Bern, berichtete ?ber die Erfahrungen, die mit Studierenden in der Schweiz gemacht wurden. Er stellte klar, dass lediglich 5-10% der Studierenden intrinsisch motiviert sind. Erst die extrinsische Motivation durch Pr?fungen k?nne dem E-Learning zum Durchbruch verhelfen: F?lle mit anschlie?ender Pr?fung wurden zu ?ber 90% erfolgreich bearbeitet, F?lle ohne Pr?fung hingegen zu weniger als 10%. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Feststellung, dass Fortbildung haupts?chlich auf Gebieten stattfindet, in denen Fortbildende bereits Vorwissen besitzen. E-Learning k?nne hier die M?glichkeit er?ffnen, "blinde Flecke" zu identifizieren und Wissensdefizite aufzudecken ("needs assessement"). Seine Forderung:

Ein Endpunkt bei allen Studien zum E-Learning f?r Mediziner sollte die Auswirkung auf die Patientenversorgung sein.

Dr. Sostmann von der Charit? Berlin wies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer tutoriellen Betreuung hin. Die Kosten von E-Learning-Angeboten seien sehr abh?ngig von den Zielen und Einsatzgebieten. Als m?glichen Mehrwert von E-learning beschrieb er

• die Aktivierung von vorhandenem Vorwissens,

• die selbst?ndige Hypothesengenerierung und

• die explorative Herangehensweise an Problemstellungen.

Als wichtige Qualit?tsindikatoren nannte er

• die technisch problemlose Funktionalit?t,

• einen hohen Interaktivit?tsgrad und

• ein klar definiertes p?dagogisches Konzept

Ein Konzept mit zunehmender Bedeutung stelle das spielerische Lernen dar. Auch in einem sp?teren Referat wurde das so genannte "digital game based learning" als eine Zukunftsperspektive von E-Learning gesehen. Bereits in den 90er Jahren existierten Spiele mit medizinischen Inhalten, welche durch ihren hohen Spa?faktor zu einer erh?hten Lernmotivation f?hrten.

Dr. Kleinoeder aus G?ttingen gab einen ?berblick ?ber bestehende E-Learning-Systeme; er wies darauf hin, dass bei vermeintlichen kostenlosen Plattformen (Open Source) oftmals mit erh?hten Folgekosten zu rechnen sei. Schwierige Installationen und fehlender oder teurer Support seien daf?r verantwortlich. Die Rahmenbedingungen sollten also vor der Anschaffung eines Systems m?glichst detailliert abgekl?rt werden. Es erfolgte eine Differenzierung zwischen Learning Management Systemen (LMS) und Learning Content Management Systemen (LCMS). Ersteres verwaltet prim?r die Daten von Lernenden, letzteres stellt zus?tzlich Lerninhalte (Content) bereit. Wichtige Anforderungen an eine solche LCMS-Plattform seien.

• die Webbasierung

• die Verwendung offener Standards

• die Skalierbarkeit

• der Einsatz definierter Schnittstellen und

• die flexible Einbindung unterschiedlichster Medien

Erfolgskritisch f?r ein E-Learning-System sei jedoch in erster Linie die Organisation und nicht die Technik.

Nach den eher grundlagenspezifischen Themen des Vormittages folgten Anwendungsbeispiele aus dem Bereich der Allgemeinmedizin.

Dr. Gensichen, Allgemeinmedizin Frankfurt, berichtete wie sich Studierende im allgemeinmedizinischen Praktikum mittels einer Internetplattform gegenseitig korrigierten. Als konkrete Aufgabenstellung sollten Patienten anhand des SOAP-Schemas vorgestellt werden. Durch entsprechende Feedbackschleifen und unter tutorieller Begleitung lernten die Studierenden selbstst?ndig ihre Ausarbeitungen zu verbessern

Dieser Ansatz des verteilten Lernens sei besonders gut f?r die Allgemeinmedizin mit ihren verstreuten Ausbildungsstrukturen geeignet.

Dr. Chenot, Allgemeinmedizin G?ttingen, stellte ein Projekt der E-Evaluation vor. Dabei fand die Bewertung des allgemeinmedizinischen Praktikums in den Lehrpraxen durch die Studierende online statt. Hier konnte nach der Etablierung des Systems ein verminderter Arbeitsaufwand auf Seiten der Universit?t konstatiert werden.

Dr. Gulich, Allgemeinmedizin Ulm, wollte "mehr Spatzen in der Hand und weniger Tauben auf dem Dach", soll hei?en: weniger komplexe und hoch spezialisierte Programme, sondern einfache Konzeptionen, die eine effektive Lehre unterst?tzen. Kritisch wurde angemerkt, dass E-Learning die hohen Erwartungen (bisher?) nicht erf?llt hat.

Danach stellte Dr. G?ndling von der Universit?t Frankfurt einen phytotherapeutischen Thesaurus vor, der sich auch gut f?r die Allgemeinmedizin eigne, da ca. 75% aller Haus?rzte auch naturheilkundliche Methoden einsetzten.

Anschlie?end fand ein reger Informationsaustausch an Thementischen und beim Markt der M?glichkeiten statt. Dort konnten die Teilnehmer knapp 15 verschiedene E-Learning-Projekte begutachten und teilweise selber ausprobieren.

Dr. Sandars, Medical Education Unit, der Universit?t Leeds UK, er?ffnete mit einem provokanten und pr?zisen Vortrag den n?chsten Vormittag. Seine Thesen:

• Lernenden sollen F?higkeiten (skills) vermittelt werden und nicht Wissen, da Wissen eine zu kurze Halbwertszeit hat ("Knowledge does not keep any better than fish").

• Lernen funktioniert in allen Systemen am besten, wenn die Lernenden selber aktiv werden.

• F?r lebenslanges Lernen m?ssen zuk?nftige ?rzte lernen, sich Zugang zu den richtigen Informationen zu verschaffen.

• Wenn Lehrende l?nger zum Vorbereiten brauchen als zum Unterrichten, machen sie etwas was falsch: die Studierenden sollen einen gro?en Teil der Arbeit selbst ?bernehmen.

Dr. S?nnichsen, Allgemeinmedizin Marburg, stellte anschlie?end fest, dass E-Learning in der allgemeinmedizinischen Weiterbildung praktisch nicht vorkommt. In der Diskussion wurde angemerkt, dass vor der Etablierung eines E-Learning-Konzeptes zuerst ein strukturiertes und allgemein anerkanntes Weiterbildungs-Curriculum vorliegen m?sse.

Im Gegensatz dazu zeigte Dr. Vollmar, Allgemeinmedizin Witten/Herdecke, dass im Bereich der verpflichtenden Fortbildung (CME) eine Vielzahl von Angeboten existiert, die allerdings selten spezifisch f?r die Allgemeinmedizin sind. Zudem war die Qualit?t der recherchierten Angebote sehr heterogen.

Frau Dr. Waldmann, Allgemeinmedizin Ulm, stellte nochmals die Vor- und Nachteile von Online-Pr?fungen dar und verglich diese mit konventionellen Pr?fungsformen. Nach diesem Ausblick in zuk?nftige M?glichkeiten wagte Dr. Gensichen den Versuch einer Zusammenfassung und stellte fest: "So spezialisiert diese Vortr?ge und das Thema auch waren: wir werden wieder zur?ck an die Urspr?nge der Lehre gebracht: was wollen wir den Lernenden beibringen und wie soll das geschehen - "blended learning" also die optimale Mischung der verschiedenen Unterrichtsformen scheint f?r die Allgemeinmedizin angemessen zu sein".

Zum Abschluss des Kongresses wurde ein Delphi-Prozess initiiert, bei dem allen Kongressteilnehmern ein 15-teiliger Fragebogen zum diskutierten Themenkomplex vorgelegt wurde. Mit einer R?cklaufquote von knapp 70% war auch hier eine rege Beteiligung zu verzeichnen. Erste Ergebnisse sollen Anfang August auf der Tagung der Association of Medical Education in Europe (AMEE) in Amsterdam vorgestellt werden.

Im Anschluss an den Kongress fanden sich 13 Teilnehmer aus neun medizinischen Fakult?ten zusammen, um das Netzwerk "E-Learning in der Allgemeinmedizin (ELA)" zu gr?nden. Die Bildung erfolgte aus der Einsicht, dass unter qualitativen und ?konomischen Gesichtspunkten verschiedenste "Insell?sungen" an den Fakult?ten nicht sinnvoll erscheinen. Als erster Schritt wurde vereinbart, die unterschiedlichen Projekte auf der Internetseite http://www.e-learning-allgemeinmedizin.de kurz vorzustellen, um daraus Kooperationsm?glichkeiten ableiten zu k?nnen. Zuk?nftig sollen neue Projekte fr?hzeitig den Netzwerkteilnehmern pr?sentiert werden, damit diese mit einem zeitnahen Feedback zur Qualit?tsverbesserung beitragen k?nnen. Weiterhin wird die Suche nach nachhaltigen Finanzierungsmodellen eine wichtige Aufgabe von "ELA" darstellen.

Das Netzwerk will die Aufbruchstimmung des Kongresses nutzen, um positive Impulse in dieser Richtung setzen zu k?nnen.