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Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

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Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Leserbrief
Leserbrief

[Leserbrief zum Editorial „Medizinstudium 2020 zwischen Politik und Wissenschaft“]

 Jean-François Chenot 1,2
Jost Steinhäuser 1,3
Antje Bergmann 4,5
Maren Ehrhardt 4,6
Johannes Spanke 2
Anne Simmenroth 7

1 Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Sprecher der Sektion Weiterbildung, Berlin, Deutschland
2 Universitätsmedizin Greifswald, Abteilung Allgemeinmedizin, Greifswald, Deutschland
3 Universitätsklinikums Schleswig-Holstein am Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin, Lübeck, Deutschland
4 Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Sprecherinnen Sektion Studium und Lehre, Berlin, Germany
5 Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Bereich Allgemeinmedizin, Dresden, Deutschland
6 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
7 Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Deutschland




Leserbrief

Harendza et al. kritisieren Politisierung und mangelnde wissenschaftliche Belege für die Reform des Medizinstudiums [1]. Ihre Analyse hat einen „blinden Fleck“ über den Zusammenhang zwischen Ausbildung (Medizinstudium) und Weiterbildung: Anders als in vielen anderen Ländern ist in den Deutschsprachigen Ländern die Weiterbildung mit der Ausbildung nicht verzahnt und nicht universitär angebunden. Die Ausbildung wird vom Staat finanziert und über die Approbationsordnung inhaltlich gesteuert. Die Weiterbildung wird durch die Landesärztekammern geregelt und zum größten Teil von Krankenhäusern angeboten. Dabei spielt oft der Bedarf an Arbeitsleistung, und nicht der Bedarf an Weiterbildung die größte Rolle. Die Bundesregierung kann auf Defizite in der Versorgung und Qualifikation von Ärzten, z.B. bei der Versorgung Älterer, von Schmerzpatienten oder Palliativversorgung nur über die Änderung der Approbationsordnung reagieren. Das erklärt viele neue Querschnittsbereiche und die Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium. Spezielle Kompetenzen und höhere Kompetenzniveaus müssten sinnvoller gezielt in der Weiterbildung erworben werden. Diese besteht meist aber oft nur aus „learning on the job“, ohne Rotationsplan und ohne theoretische Vertiefung. Während im Studium didaktische Qualifikation immer wichtiger wird, spielt dies in der Weiterbildung kaum eine Rolle. Der Nationale kompetenzbasierte Lernzielkatalog hat sich bemüht, eine Verbindung und Abgrenzung zur Weiterbildung herzustellen [http://www.nklm.de]. Dies konnte Mangels Struktur der Weiterbildung und weil Weiterbildungsordnungen eben keine Curricula sind, noch nicht gelingen. Man braucht sich also nicht vor der „Überdosis Allgemeinmedizin“ zu fürchten, sondern vor der „Überdosis“ des gesamten Stoffes, wenn jedes Fachgebiet sich im Studium in voller Breite darstellen möchte. Die Allgemeinmedizin könnte ein Teil der Lösung sein und helfen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Freiraum für mehr selbstbestimmte Vertiefung schaffen. Die einseitige Dominanz der Krankenhausmedizin im Studium, obwohl die Mehrheit der Patienten ambulant versorgt wird und etwa die Hälfte der Ärzte im ambulanten Bereich arbeiten, ist zwar historisch nachvollziehbar, aber kaum noch zu verteidigen. Auch hier zeigt sich der Zusammenhang mit einem Problem der Weiterbildung: sie findet, mangels Finanzierung ambulanter Weiterbildungsabschnitte, auch fast ausschließlich im stationären Sektor statt. Dort kann z.B. für Prävention oder Langzeitbetreuung chronisch Kranker keine ausreichende Kompetenz erworben werden. Die Stärkung der Allgemeinmedizin z.B. durch ein PJ-Quartal ist eine Chance, auch für Studierende mit einem anderen Weiterbildungsziel die Schnittstelle ambulant – stationär besser kennen zu lernen. Von daher ist das weniger Politik, sondern vielmehr epidemiologisch und didaktisch gut begründet. Das Erleben eines Faches und „ländliche Erfahrungen“ im Studium beeinflussen, ob ein Fach Betracht gezogen wird [2], [3]. Es ist aber nicht die Aufgabe der universitären Allgemeinmedizin, Studierende zu überreden, Allgemeinärzte auf dem Land zu werden. Der wichtigste Faktor für eine Niederlassung im ländlichen Raum (von Allgemeinärzten und Spezialisten) ist die eigene ländliche Herkunft. Das ließe sich leicht bei der Studienplatzvergabe berücksichtigen.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

[1] Harendza S, Fischer MR, Fabry G. Quo vadis? - Medizinstudium 2020 zwischen Politik und Wissenschaft. GMS J Med Educ. 2016;33(1):Doc12. DOI: 10.3205/zma001011
[2] Schneider A, Karsch-Völk M, Rupp A, Fischer MR, Drexler H, Schelling J, Berberat P. Determinanten für eine hausärztliche Berufswahl unter Studierenden der Medizin: Eine Umfrage an drei bayerischen Medizinischen Fakultäten. GMS Z Med Ausbild. 2013;30(4):Doc45. DOI: 10.3205/zma000888
[3] Steinhäuser J, Joos S, Szecsenyi J, Götz K. Welche Faktoren fördern die Vorstellung sich im ländlichen Raum niederzulassen? Z Allg Med. 2013;89:10-15.