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GMS Journal for Medical Education__Temp

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017__Temp


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Hypothese
Humanmedizin

[Symposium Case Conference on Integrative Medicine]

 Christian Scheffer 1
 Friedrich Edelh?user 1
Diethard Tauschel 2
Eckhart G. Hahn 3

1 Universit?t Witten/Herdecke, Fakult?t f?r Medizin, Integriertes Begleitstudium Anthroposophische Medizin und Gerhard-Kienle-Lehrstuhl f?r Medizintherorie und Komplement?rmedizin, Witten, Deutschland
2 Universit?t Witten/Herdecke, Fakult?t f?r Medizin, Integriertes Begleitstudium Anthroposophische Medizin, Witten, Deutschland
3 Universit?tsklinikum Erlangen, Medizinische Klinik 1, Vorsitzender des Vorstandes der Gesellschaft f?r Medizinische Ausbildung (GMA), Erlangen, Deutschland

Abstract

Complementary and Alternative Medicine (CAM) is highly requested by patients. Therefore, medical students have to be prepared and educated for this situation. We report about the first Case Conference on Integrative Medicine under the auspices of the president of the German Medical Association. In contrast to often-occurring polemic and polarizing discussions the dialog was characterized by serious and open-minded contributions in order to find the best therapeutic concept for patients. The authors suggest to establish a committee of the Gesellschaft f?r Medizinische Ausbildung (GMA) to work on key questions in this field. Possible topics and questions are listed.


Keywords

Integrative Medicine, Complementary and Alternative Medicine, Pluralism of Perspectives, Curriculum, Case Conference

Einleitung

Am 5. Dezember 2006 fand in D?sseldorf erstmals das Symposium "Fallkonferenz Integrative Medizin" [1] statt. Veranstalter war das Dialogforum Pluralismus in der Medizin, das unter der Schirmherrschaft und Mitwirkung des Pr?sidenten der Bundes?rztekammer Prof. Dr. med. Dr. h.c. J?rg-Dietrich Hoppe im Herbst 2000 mit dem Ziel gegr?ndet wurde, einen strukturierten Dialog innerhalb der ?rzteschaft zwischen Vertretern konventioneller und komplement?rmedizinischer Richtungen zu initiieren und zu einer patientengerechten und wirkungsvollen Integrativen Medizin beizutragen. Nachdem in den bisherigen Symposien grunds?tzliche Themen wie "Medizin und Menschenbild" [2], [3] und "Pluralismus in der Therapieevaluation" [4], [5] diskutiert wurden, war nun erstmals die Behandlungspraxis in Form der Fallkonferenzen Thema. Anhand zweier Patientengeschichten wurden jeweils die ?rztlichen Diagnose - und Behandlungsstrategien aus den verschiedenen medizinischen Richtungen dargestellt, der jeweilige Therapieansatz reflektiert sowie M?glichkeiten und Limitationen der Zusammenarbeit dargestellt und unter Einbeziehung des Auditoriums - anwesend waren etwa 70 ?rzte und Studenten - diskutiert. Als Referenten waren prominente Vertreter verschiedener Therapierichtungen eingeladen. Prof. S.N. Willich, Institut f?r Epidemiologie an der Charit? Berlin f?hrte in die Thematik ein und moderierte eine der Fallkonferenzen. Zur ersten Kasuistik mit dem Beschwerdebild eines chronischen Schmerzsyndroms erl?uterten PD Dr. D. Irnich, Klinikum der Universit?t M?nchen, die an?sthesiologisch-schmerztherapeutische Herangehensweise. Frau Prof. K. Kraft, Lehrstuhl f?r Naturheilverfahren in Rostock, Dr. B. Brinkhaus, Institut f?r Epidemiologie an der Charit? und Dr. M. Teut, Gesundheitszentrum Polikum Berlin erg?nzten die M?glichkeiten aus Sicht der Naturheilverfahren, der chinesischen Medizin und der Hom?opathie. Auch die Gesellschaft f?r Medizinische Ausbildung (GMA) war in Form ihres Vorsitzenden Prof. E.G. Hahn pr?sent, der die Ausf?hrungen zur zweiten Fallkonferenz mit dem Beschwerdebild der funktionellen Darmerkrankung er?ffnete und die evidenzbasierte konventionelle gastroenterologische Sichtweise darstellte. Diese wiederum wurde erweitert durch Beitr?ge zur Anthroposophischen Medizin (Dr. M. Girke, Krankenhaus Havelh?he Berlin), zur Phytotherapie (Dr. A. Michalsen, Universit?t Duisburg-Essen) und zur Psychosomatik (Prof. H.-C. Deters, Klinik f?r Psychosomatik, Charit? Berlin). Prof. P.F. Matthiessen (Lehrstuhl f?r Komplement?rmedizin und Medizintheorie, Universit?t Witten/Herdecke), der die bisherigen Symposien zu diesem Thema wesentlich mit gepr?gt und mit initiiert hatte, konnte wegen Krankheit nicht teilnehmen. Das Symposium wurde nicht zuletzt wegen der Seriosit?t der Diskussionsbeitr?ge, der Offenheit zum Perspektivenwechsel und der Bereitschaft zur kritischen Reflexion allseits als ein wesentlicher Fortschritt und eine ermutigende Entwicklung wahrgenommen. Es entstand dabei auch die Frage, ob und wie ein solcher multiperspektivischer Ansatz schon im Medizinstudium veranlagt werden kann.

Fragestellung f?r das Medizinstudium

Wozu eine Auseinandersetzung mit Integrativer Medizin und Perspektivenpluralismus?

Nach einer Studie des Allensbach-Institutes nehmen in Deutschland etwa 2/3 der Patienten Naturheilmittel in Anspruch [6]. In einer repr?sentativen Bev?lkerungsstudie gaben 70% der Frauen und 54% der M?nner an, auf komplement?rmedizinische Therapien zur?ckzugreifen [7]. Auch in anderen westlichen L?ndern ist der Anteil der komplement?rmedizinisch behandelten Patienten hoch und im Anstieg begriffen [8], [9]. Unter den Medizinstudierenden besteht anf?nglich oft ein hohes Interesse an Komplement?r- und alternativmedizinischen Therapien (CAM), gegen Ende scheint dieses, m?glicherweise bedingt durch die rein schulmedizinische Ausbildung, wieder abzunehmen [10].

Trotz dieser hohen Verbreitung in der Praxis wird CAM an den Universit?ten bisher kaum oder gar nicht unterrichtet. Dies hat zur Folge, dass die ?rzte nur wenig damit vertraut sind und nur unzureichend auf die Patientenbed?rfnisse eingehen k?nnen. F?r die Patienten ergibt sich dadurch das Problem, dass sie sich an Nichtmediziner wenden m?ssen, um komplement?r- bzw. alternativmedizinisch behandelt zu werden. Eine Integrative Medizin, die mehrere Therapieans?tze miteinander verkn?pft, um das bestm?gliche f?r und im Dialog mit den Patienten zu erreichen, ist so nicht zu verwirklichen. Ein ?hnliches Problem ergibt sich f?r die Ausbildung: komplement?rmedizinische Verfahren werden meist entweder mit vorurteilsbehaftetem Skeptizismus oder aber mit unkritischer und unreflektierter ?bersch?tzung unterrichtet. Ein fruchtbarer Dialog zwischen den Vertretern der verschiedenen Richtungen ist eher die Ausnahme, eine reflektierte und kritische Integration zu einer gesamthaften Medizin findet (noch) nicht statt.

In den letzten Jahren starteten v.a. in den USA verschiedene Initiativen, um dem erh?hten Bedarf an medizinischer Ausbildung in CAM nachzukommen. Einer Befragung zufolge hatten 1999/2000 82 von 125 (66%) medizinischen Fakult?ten der USA CAM-Elemente in ihr Curriculum implementiert [11], in Europa sollen mittlerweile 40% der Fakult?ten Veranstaltungen zu CAM anbieten [12]. Allein damit ist das Problem allerdings noch nicht gel?st, da das einfache Anbieten von "Add-On"-Kursen noch keinen Dialog und auch noch keine Entwicklung zu einer Integrativen Medizin erm?glicht. Vielmehr kann dadurch f?r Studierende das Problem noch verst?rkt werden, dass von verschiedenen Vertretern Verschiedenes behauptet und damit eine rationale Urteilsbildung erschwert wird. Vor diesem Hintergrund hat eine Arbeitsgruppe der Harvard Medical School Empfehlungen zu einer Implementierung von CAM in das Medizinstudium verfasst, die auf das Erlernen "einer Medizin" abzielen [11].

In Deutschland ist CAM seit ?nderung der Approbationsordnung 2003 in Form der Naturheilverfahren als Unterbereich im Querschnittsbereich ?12 anf?nglich enthalten. Allerdings war die Realisierung dieses Vorhabens 2003 noch fraglich, da es kaum Lehrst?hle in diesem Bereich gibt [13]. Dies ist umso erstaunlicher, da CAM schon seit den 70er Jahren im Sozialgesetzbuch der Bundesrepublik in Form der besonderen Therapierichtungen verankert ist. Die Frage, wie im Medizinstudium die Ausbildung f?r eine rationale und perspektivenpluralistische Integrative Medizin veranlagt werden kann ist, muss zum jetzigen Zeitpunkt als v?llig unbearbeitet bewertet werden. Als einen Ansatz der Integration komplement?rmedizinischer Aspekte in das gesamte Medizinstudium kann das Integrierte Begleitstudium Anthroposophische Medizin an der Universit?t Witten / Herdecke verstanden werden [14].

Aus den genannten Gr?nden m?chten wir an dieser Stelle vorschlagen innerhalb der GMA einen Ausschuss zur Ausbildung in Integrativer Medizin und Perspektivenpluralismus zu gr?nden, der am besten unter studentischer Beteiligung stattfinden sollte. Zu bearbeiten sind aus unserer Sicht unter anderem folgende Fragen und Aufgaben:

Vorschlag zum Procedere

M?gliche Themen eines Ausschusses zu Ausbildungsfragen in Integrativer Medizin und Perspektivenpluralismus

  • Wie kann im Medizinstudium die Entwicklung einer Integrativen Medizin veranlagt werden, die die rationale und reflektierte Anwendung verschiedener komplement?rmedizinischer Verfahren in Erg?nzung zur Schulmedizin beinhaltet?
  • Wie kann ein vorurteilsgeleitetes Lehren vermieden und ein fruchtbarer Dialog zwischen den Vertretern der verschiedenen Richtungen gef?rdert werden?
  • Wie kann eine rationale Urteilsbildung in Bezug auf die M?glichkeit und Grenzen der Verfahren gef?rdert werden?
  • Wie kann die F?higkeit zur Reflexion der jeweiligen Perspektive und zur Integration der verschiedenen Ans?tze zu einem multiperspektivischen Bild erweitert werden?
  • Wie k?nnen die Forschungskompetenzen in diesem Bereich gef?rdert werden?
  • Welche Kompetenzen sind in diesem Bereich f?r alle ?rzte wichtig, welche sind nur f?r besonders Interessierte von Belang?
  • Wie kann eine "gemeinsame Sprache" und Begriffsbildung entwickelt werden, die ein gemeinsames Verst?ndnis des Menschen in der Medizin erm?glicht?
  • Wie lassen sich die verschiedenen Vorgehensweisen zu einer optimalen Behandlung f?r den Patienten integrieren?

Das Neue und Ermutigende an dem oben genannten Symposium des Dialogforums Pluralismus in der Medizin lag in der Bereitschaft der Teilnehmer zur kritischen Reflexion des eigenen Ansatzes und zur Offenheit, sich auf andere Sichtweise einzulassen. Ein unkritisches Oktruieren von Standpunkten fand ebenso wenig statt wie ein ?berkritisches Diskreditieren. Die Fallbearbeitungen konkreter Patientengeschichten sind hier m?glicherweise ein ideale Ausgangspunkt f?r die F?rderung eines solchen Dialoges - ausgehend von je unterschiedlich erfassten und bewerteten Beschwerdebildern und gemeinsam orientiert an dem Ziel einer optimalen Behandlung wird das Wohl des Patienten zur umfassenden Klammer f?r alle Bem?hungen, wie es M. Girke in seinem Abschlussstatement formulierte. Dieses Ziel sollte es wert sein, auch die Ausbildungsfrage im Blick auf die komplement?re und alternative Medizin mit dem Ziel einer Integrativen Medizin intensiv zu bearbeiten.


Literatur

[1] Hibbeler B. Schulmedizin und Komplement?rmedizin: Ann?herung statt Verteidigung des eigenen Terrains. Dtsch ?rztebl. 2006;103(51-52):A3456.
[2] Girke M, Hoppe JD, Matthiessen Pf, Willich SN. Medizin und Menschenbild - Das Verst?ndnis des Menschen in Schul- und Komplement?rmedizin. K?ln: Deutscher ?rzte-Verlag; 2006.
[3] Willich SN, Girke M, Hoppe JD, Kiene H, Klitzsch W, Matthiesen PF, Meister P, Ollenschl?gel G, Heimpel H. Schulmedizin und Komplement?rmedizin: Verst?ndnis und Zusammenarbeit m?ssen vertieft werden. Dtsch Arztebl. 2004;101(19):A1314-A1319.
[4] Kiene H, Ollenschlaeger G, Willich SN. Pluralismus der Medizin - Pluralismus der Therapieevaluation? [Pluralism in Medicine - Pluralism of evaluation?]. Z Arztl Fort Qualit?tssich. 2005;99(4-5):261-262.
[5] Jachertz N. Bewertung von Therapien - "Korridor der Vernunft". Dtsch Arztebl. 2005;102(5):A268-A269.
[6] H?u?ermann D. Allensbach-Studie: Wachsendes Vertrauen in Naturheilmittel. Dtsch Arztebl. 1997;94(39): A2466, B2108, C1974.
[7] H?rtel U, Volger E. Inanspruchnahme und Akzeptanz klassischer Naturheilverfahren und alternativer Heilmethoden in Deutschland - Ergebnisse einer repr?sentativen Bev?lkerungsstudie. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd. 2004;11(6):327-334.
[8] Eisenberg DM, Davis RB, Ettner SL, Appel S, Wilkey S, Rompay M, Kessler RCl. Trends in alternative medicine use in the United States, 1990-1997: results of a follow-up national survey. Jama. 1998;280(18):1569-1575.
[9] Molassiotis A, Fernadez-Ortega P, Pud D, Ozden G, Scott JA, Panteli V, Marqulies A, Browall M, Magri M, Selvekerova S, Madsen E, Milovics L, Bruyns I, Gudmundsdottir G, Hummerston S, Ahmad AM, Platin N, Kearney N, Patiraki E. Use of complementary and alternative medicine in cancer patients: a European survey. Ann Oncol. 2005;16(4):655-663.
[10] Furnham A, McGill C. Medical students' attitudes about complementary and alternative medicine. J Altern Complement Med. 2003;9(2):275-284.
[11] Wetzel MS, Kaptchuk TJ, Haramati A, Eisenberg DM. Complementary and alternative medical therapies: implications for medical education. Ann Intern Med. 2003;138(3):191-196.
[12] Barberis L, de Toni E, Schiavone M, Zicca A, Ghio R. Unconventional medicine teaching at the Universities of the European Union. J Altern Complement Med. 2001;7(4):337-343.
[13] Brinkhaus B, Joos S, Willich SN, Hahn EG. Complementary and alternative medicine in German medical schools. Med Teach. 2005;27(2):180.
[14] Scheffer C, Tauschel D, Edelh?user F. A curriculum of Complementary Medicine: Integrated studies of Anthroposophical Medicine (ISAM). Amsterdam: Association for Medical Education in Europe (AMEE). 2005:198.