[Quo vadis? – Medizinstudium 2020 zwischen Politik und Wissenschaft]
Sigrid Harendza 1Martin R. Fischer 2,3
Götz Fabry 4,5
1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland
2 Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
3 GMS Journal for Medical Education, Schriftleiter, Erlangen, Deutschland
4 Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Abt. für Med. Psychologie, Freiburg/Brg, Deutschland
5 GMS Journal for Medical Education, stellv. Schriftleiter, Erlangen, Deutschland
Leitartikel
Mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ beabsichtigt die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern Maßnahmen zu entwickeln, um eine zielgerichtetere Auswahl unter den Studienplatzbewerberinnen und -bewerbern zu treffen, die Praxisnähe im Studium zu fördern und die Allgemeinmedizin im Studium zu stärken [
Zielgerichtetere Studierendenauswahl
Dass es sich bei der Abiturnote und auch beim Test für Medizinische Studiengänge (TMS) um sehr rechtssichere und praktisch gut durchführbare Mittel der Studierendenauswahl handelt, wird kaum jemand bestreiten. Zudem wird auch kaum jemand ernsthaft behaupten, ein Auswahlverfahren zu kennen, mit dem sich seriös vorhersagen ließe, wer nach einem Zeitraum von sechs Jahren oder mehr ein „guter Arzt“ werden wird. Insofern kann die Validität der verschiedenen Auswahlverfahren ausschließlich mit Hilfe von Surrogat-Parametern bestimmt werden. Wissenschaftlich belegt ist etwa, dass sich mit dem TMS potenziell erfolgreiche von weniger erfolgreichen Studierenden aus verschiedenen Abiturnotenbereichen differenzieren lassen, wie in der vorliegenden Ausgabe zu lesen ist [1]. Die Abiturnote allein hingegen korreliert mit der Studienleistung und der Studienverzögerungsrate im vorklinischen Studienabschnitt, nicht jedoch mit dem Abschluss des Studiums in Regelstudienzeit [2]. Häufig wird eingewandt, dass Studienleistungen, zumal in Form von hauptsächlich kognitiven Anforderungen im Sinne von wissensbasierten Prüfungen, nur einen Teil der für den Arztberuf notwendigen Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften abbilden. Daher verbreiten sich zunehmend auch Auswahlverfahren, wie z.B. das Multiple-Mini-Interview (MMI), in denen andere für die ärztliche Tätigkeit als wichtig erachtete psychosoziale und kommunikative Kompetenzen erfasst werden. Anhänger solcher Verfahren müssen sich allerdings kritisch damit auseinandersetzen, dass sich in insgesamt 66 publizierten Untersuchungen zu MMIs nur ein einziger Test gefunden hat, der das Studierverhalten und die Note im Abschlussexamen nennenswert vorhersagt und bei vielen anderen MMIs die Konstruktvalidität zu wünschen übrig lässt [3]. Außerdem sind MMIs sehr kosten- und zeitaufwändig.
Weitere Kriterien von deutschen Hochschulen bei der Auswahl sind gewichtete Einzelnoten des Abiturzeugnisses, fachspezifische Studierfähigkeitstests, Art einer Berufsausbildung oder -tätigkeit, Ortspräferenz oder Ergebnis eines Auswahlgespräches [
Förderung der Praxisnähe
Mit der Änderung der Ärztlichen Approbationsordnung im Jahr 2002 [
Stärkung der Allgemeinmedizin
Dass zur adäquaten Versorgung der Bevölkerung auf dem Land mehr Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner benötigt werden, die in ländlichen Gegenden arbeiten möchten, ist seit vielen Jahren bekannt und ein politisches Erfordernis. Ob ein Pflichtabschnitt Allgemeinmedizin im Praktischen Jahr, der ebenfalls seit mehreren Jahren in der Diskussion ist, zur Lösung dieses Problems beiträgt, darf bezweifelt werden. Denn Allgemeinmedizin ist bei den Medizinstudierenden bereits jetzt ein sehr beliebtes und attraktives Fach für die Facharztweiterbildung [8]. Dieselbe Studie zeigt allerdings auch, dass über die Hälfte der befragten Medizinstudierenden sich nicht vorstellen können, in Orten mit einer Einwohnerzahl unter 2000 tätig zu sein. Es lässt sich daher vermuten, dass für eine Stärkung der Allgemeinmedizin in der Versorgung andere Maßnahmen erforderlich sind als noch stärkere Studienverpflichtungen im Bereich dieses Faches. Im Gegenteil: Es könnte sogar sein, dass durch eine erzwungene „Überdosis“ Allgemeinmedizin im Studium weniger Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums eine Weiterbildung in diesem Fach wählen. Neue Konzepte für die bessere Verteilung primärärztlicher Versorgungsangebote sind erforderlich und können vielleicht wirksamer dem Landarztmangel entgegenwirken. Auch zu diesen Fragen fehlt es an ausreichender Evidenz. Insgesamt scheint die stärkere Integration von ambulanter Medizin ins Studium wichtig, da viele der Absolventinnen und Absolventen später im ambulanten Bereich tätig sein werden. Ob also hauptsächlich die Allgemeinmedizin im Studium gestärkt werden sollte oder ob dies auch für andere primärversorgende Disziplinen wie die allgemeine Innere Medizin und die Pädiatrie und für ambulante Medizin in Spezialpraxen oder Hochschulambulanzen nicht ebenso erforderlich ist, gilt es mit geeigneten Ausbildungsforschungsprojekten zu untersuchen [9]. Die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) bietet für die kritische wissenschaftliche Begleitung und Diskussion der Maßnahmen zum Medizinstudium 2020 mit ihrem GMS Journal for Medical Education (JME) eine weithin sichtbare und gut etablierte Plattform [
GMS Journal for Medical Education (JME)
Das Open Access-Journal der GMA, ehemals „GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung (ZMA)“, erscheint ab sofort unter dem neuen Namen „GMS Journal for Medical Education (JME)“. Die „Medizinische Ausbildung“ ist als Zeitschrift der GMA 1984 mit dem Untertitel „Forum zur Erforschung der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung“ zum ersten Mal erschienen. Daraus wurde 2005 schließlich nach einigen Zwischenstationen ab dem 22. Jahrgang die Open-Access „GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung (ZMA)“. Die GMS ZMA hat sich seitdem zur zentralen Fachzeitschrift der medizinischen Ausbildungsforschung im deutschsprachigen Raum entwickelt. Seit 2010 erscheinen die jährlichen vier Ausgaben im Volltext zweisprachig (deutsch/englisch) und seit 2011 ist die GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung MEDLINE
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
[1] Kadmon G, Kadmon M. Academic performance of students with the highest and mediocre school-leaving grades: does the aptitude test for medical studies (TMS) balance their prognoses? GMS J Med Educ. 2016;33(1):Doc7. DOI: 10.3205/zma001006[2] Kadmon G, Resch F, Duelli R, Kadmon M. Predictive value of the school-leaving grade and prognosis of different admission groups for academic performance and continuity in the medical course - a longitudinal study. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc21. DOI: 10.3205/zma000913
[3] Knorr M, Hissbach J. Multiple mini-interviews: same concept, different approaches. Med Educ. 2014;48:1157-1175. DOI: 10.1111/medu.12535
[4] Fischer MR, Bauer D, Mohn K; NKLM-Projektgruppe. Finally finished! National Competence Based Catalogues of Learning Objectives for Undergraduate Medical Education (NKLM) and Dental Education (NKLZ) ready for trial. GMS Z Med Ausbild. 2015;32(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma000977
[5] Vogel B, Reuter S, Taverna M, Fischer MR, Schelling J. Vaccination: Developing and implementing a competency-based-curriculum at the Medical Faculty of LMU Munich. GMS J Med Educ. 2016;33(1):Doc5. DOI: 10.3205/zma001004
[6] Rotthoff T, Ostapczuk MS, Kröncke KD, Zimmerhofer A, Decking U, Schneider M, Ritz-Timme S. Criterion validity of a competency-based assessment center in medical education - a 4-year follow-up study. Med Educ Online. 2014;19:25254. DOI: 10.3402/meo.v19.25254
[7] Wijnen-Meijer M, Van der Schaaf M, Booij E, Harendza S, Boscardin C, Van Wijngaarden J, Ten Cate TJ. An argument-based approach to the validation of UHTRUST: can we measure how recent graduates can be trusted with unfamiliar tasks? Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2013;18(5):1009-1027. DOI: 10.1007/s10459-013-9444-x
[8] Heinz A, Jacob R. Medizinstudenten und ihre Berufsperspektiven. In welcher Facharztrichtung, wo und wie wollen sie arbeiten? Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2012;55(2):245-253. DOI: 10.1007/s001030111413z
[9] Huenges B, Gulich M, Böhme K, Fehr F, Streitlein-Böhme I, Rüttermann V, Baum E, Niebling WB, Rusche H. Recommendations for undergraduate training in the primary care sector -- position paper of the GMA-Primary Care Committee. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma000927