[Postgraduierte medizinische Weiterbildung – ein zunehmend wichtiger Schwerpunkt von Studien und Innovationen]
Martina Kadmon 1Olle Ten Cate 2
Sigrid Harendza 3
Pascal 0. Berberat 4
1 Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Gründungsdekanat, Augsburg, Deutschland
2 Universitätsklinikum Utrecht, Zentrum für Forschung und Entwicklung von Aus- und Weiterbildung, Utrecht, Niederlande
3 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik und Poliklinik, Hamburg, Deutschland
4 Technische Universität München, Medizinische Fakultät, TUM Medical Education Center, München, Deutschland
Leitartikel
Absolventen des Medizinstudiums sind oft erleichtert, dass die anstrengende Zeit des Lernens während der studentischen Ausbildung vorbei ist, wenn sie endlich ihre Approbation in Händen halten – nur um zu erkennen, dass mit dem Eintritt in die postgraduale Weiterbildung das Lernen erst beginnt. Für viele Absolventen ist der Übergang vom letzten Studienjahr, dem Praktischen Jahr, in das erste Jahr der Facharztweiterbildung hart und anspruchsvoll aufgrund der damit verbundenen plötzlichen und ungewohnten Last der beruflichen Verantwortung. Studierende im letzten Studienjahr berichteten nach der Teilnahme an einem neuen klinischen Prüfungsformat, das einen realitätsnahen voll ausgefüllten ersten Arbeitstag in der Facharztweiterbildung simulierte, an den sich ein 360° Feedback anschloss [1], [2], dass das Patientenmanagement und die damit verbundene Verantwortung sich zeitweise überwältigend und erdrückend anfühlte, obwohl es sich lediglich um eine Simulationssituation handelte. Sie hatten bis zu diesem Zeitpunkt nie richtig diese Verschmelzung von notwendigem Wissen und erforderlichen Fertigkeiten und Haltungen erlebt, die für eine adäquate Patientenversorgung essentiell sind. Dabei sind das Patientenmanagement und die Übernahme professioneller Verantwortung während der Facharztweiterbildung das Kernstück der täglichen ärztlichen Arbeit unabhängig von der Fachdisziplin.
Für Jahrzehnte wurde die postgraduierte Facharztweiterbildung in Deutschland nicht als Ausbildungszeit aufgefasst. Definierte Ausbildungsziele, strukturierte Weiterbildungs- und Trainingsprogramme und validierte Prüfungskonzepte fehlten. Die Weiterbildung basierte wesentlich auf dem Prinzip des „Lernens durch Handeln“, oft ohne jegliche Supervision, und auf der Erfüllung einer Reihe weitgehend quantitativer Voraussetzungen, wie etwa Zahl an Operationen, Endoskopien, Ultraschalluntersuchungen und weiteren „Sammelobjekten“. In anderen Ländern wurden mittlerweile anspruchsvolle und differenzierte Zulassungsprozesse [3], [4] und Rahmenstrukturen [5], [6], [7], [8] für postgraduierte Weiterbildungsprogramme entwickelt und konsentiert mit dem Ziel, Ärzte in der Facharztweiterbildung auf ihre zunehmend komplexen professionellen Rollen in der Gesundheitsversorgung vorzubereiten [9]. Der aktuelle Trend in der postgraduierten Weiterbildung geht in Richtung eines kompetenzbasierten Trainings [10], das auf individuellen Entscheidungen des Anvertrauens umfassender ärztlicher Tätigkeiten unter schrittweise nachlassender Supervision beruht. Entscheidungsgrundlage bilden dabei anstelle der Anzahl einzelner durchgeführter Prozeduren die Kompetenzen des individuellen Weiterzubildenden in einem breiteren ärztlichen Handlungskontext [11], [12]. Um den Übergang zwischen studentischer Ausbildung und postgraduierter ärztlicher Weiterbildung zu erleichtern, wurde in Deutschland der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) für das Medizinstudium erarbeitet [13]. Er orientiert sich ganz wesentlich an der CanMEDS-Rahmenstruktur für die Postgraduierten-Weiterbildung und leistet einen Beitrag zum Transfer dieser Rahmenstruktur auf die Ausbildung Medizinstudierender [13]. Außerdem beschäftigt sich die Bundesärztekammer im Moment mit der Überarbeitung und Weiterentwicklung der Musterweiterbildungsordnung in Richtung einer stärkeren Betonung von Kompetenzen und Kompetenzebenen [
Die beiden bekanntesten und am meisten akzeptierten Rahmenstrukturen für die postgraduierte kompetenzbasierte Weiterbildung, die CanMEDS Rahmenstruktur ärztlicher Kompetenzen aus Kanada [9] und das Outcome-Projekt des Akkreditierungsrats für die medizinische Aus- und Weiterbildung (ACGME) in den Vereinigten Staaten [6], verfolgen einen systembasierten Ansatz und operationalisieren berufliche Tätigkeiten, die Ärzte umsetzen und durchführen müssen, um ihren Patienten eine adäquate medizinische Versorgung anbieten zu können. Während die CanMEDS-Rahmenstruktur ärztliche Rollen jenseits der medizinisch-fachlichen Expertise definiert, die sich an den täglichen Anforderungen an Ärzte im klinischen Umfeld orientiert, spezifiziert das ACGME Outcome-Projekt Kernkompetenzen im Rahmen der Patientenversorgung, systembasierten Praxis und professionellen Entwicklung und verlangt verpflichtende zweijährliche Berichte zu den Meilensteinen auf dem Weg zur Kompetenz für jeden individuellen Arzt in Weiterbildung [14]. Die offene Frage, die bleibt, ist, wie wir Kompetenzen sichtbar und damit überprüfbar machen können. „Eine Kompetenz ist eine persönliche Qualität und keine Handlung“ [12]. Sie stellt die Basis für eine professionelle Leistung dar, die sich in adäquaten und evidenzbasierten ärztliche Handlungen im Sinne einer verantwortlichen Versorgung von Patienten ausdrückt, was im Wesentlichen das übergeordnete Ziel für das Kontinuum von Aus- und Weiterbildung sein muss.
Das Konzept der „Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten“ (APT-Konzept) kann dazu dienen, Weiterbildner und Weiterzubildende anzuleiten und ihnen ein Grundgerüst an die Hand zu geben, um ein Curriculum für die Weiterbildung sowie ein Bewertungskonzept zu entwickeln, bei dem der Weiterzubildende als aktiv Mitwirkender in seine berufliche Entwicklung einbezogen ist [15]. Eine APT beschreibt eine reale berufliche Tätigkeit, und die Bewertung des Weiterzubildenden in der Umsetzung dieser ärztlichen Handlung umfasst alle erforderlichen zugrundeliegenden Kompetenzen und deren integratives Zusammenspiel. Ziel ist, die ärztliche Tätigkeit je nach gezeigter Kompetenz schrittweise an den Weiterzubildenden zu übertragen und dabei das Ausmaß an Supervision kontinuierlich zu reduzieren. Dies ist gewiss keine unbekannte Idee. Ähnelt es nicht dem, was wir als Weiterbildner tagtäglich im Rahmen der klinischen Ausbildung praktizieren? Wäre es nicht sinnvoll unsere Entscheidungen hinsichtlich der Übertragung von Aufgaben auf sicherere Grundlagen zu stützen, indem wir gemeinsame, eindeutige Standards verwenden?
Dieses Sonderheft zum Thema Weiterbildung beinhaltet eine umfangreiche Vielfalt an Themen, darunter kompetenzorientierte Weiterbildung, Projekte mit Fokus auf dem Übergang zwischen Aus- und Weiterbildung, unterschiedliche Lehrmethoden, Methoden der Leistungsmessung und Karrierewege in der Weiterbildung. Es soll besonders dazu beitragen, einen evidenzbasierten Diskurs und eine daraus resultierende Weiterentwicklung der Weiterbildung in Deutschland anzuregen. Strategien und Strukturen der Weiterbildung müssen vor dem Hintergrund eines sich rasant wandelnden Gesundheitssystems weiterentwickelt werden, um einen Rahmen und ein Grundgerüst für Weiterbildner und Weiterzubildende anzubieten. Weiterzubildende sollten von motivierten Betreuern begleitet werden, die eine Vorbildfunktion ausüben und wertvolles Feedback in einer offenen Lernkultur bereitstellen. Sie sollten dazu befähigt werden, sich aktiv an ihrer Weiterbildung und der Beurteilung ihrer Leistungen zu beteiligen, indem sie als selbstgesteuerte Lerner Verantwortung für ihre persönliche berufliche Entwicklung übernehmen.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
[1] Wijnen-Meijer M, Van der Schaaf M, Booij E, Harendza S, Boscardin C, Van Wijngaarden J, Ten Cate TJ. An argument-based approach to the validation of UHTRUST: can we measure how recent graduates can be trusted with unfamiliar tasks? Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2013;18(5):1009-1027. DOI: 10.1007/s10459-013-9444-x[2] Harendza S, Berberat PO, Kadmon M. Assessing competences in medical students with a newly designed 360-degree examination of a simulated first day of residency: a feasibility study. J Community Med Health Educ. 2017;7:4. DOI: 10.4172/2161-0711.1000550
[3] Kiger JR, Annibale DJ. A new method for group decision making and its application in medical trainee selection. Med Educ. 2016;50(10):1045-1053. DOI: 10.1111/medu.13112
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[12] Ten Cate O, Scheele F. Competency-based postgraduate training: can we bridge the gap between theory and clinical practice? Acad Med. 2007;82(6):542-547. DOI: 10.1097/ACM.0b013e31805559c7
[13] Hahn EG, Fischer MR. Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin (NKLM) für Deutschland: Zusammenarbeit der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) und des Medizinischen Fakultätentages (MFT). GMS Z Med Ausbild. 2009;26(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma000627
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[15] Berberat PO, Harendza S, Kadmon M. Entrustable professional activities - visualization of competencies in postgraduate training. Position paper of the Committee on Postgraduate Medical Training of the German Society for Medical Education (GMA). GMS Z Med Ausbild. 2013;30(4):Doc47. DOI: 10.3205/zma000890