[Entwicklung und Implementierung eines neuen berufsbegleitenden Weiterbildungsstudienganges Integrative Onkologie]
Sarah Salomo 1Jutta Hübner 1
1 Universitätsklinikum Jena, Klinik für Innere Medizin II, Abteilung für Hämatologie und Internistische Onkologie, Jena, Deutschland
Zusammenfassung
Einleitung: Die Integrative Onkologie vereint evidenzbasierte Methoden der onkologischen Therapie, supportiven Medizin, Ernährung und körperlichen Aktivität sowie komplementären Medizin und kann die Effektivität der Therapie sowie Lebensqualität krebserkrankter Personen deutlich verbessern. Allerdings ist eine wissenschaftlich fundierte Weiterbildung in diesem Bereich bisher kaum möglich.
Projektbeschreibung: Das berufsbegleitende Weiterbildungsstudium „Integrative Onkologie“ an der Universität Jena bietet erstmals in Deutschland eine wissenschaftlich fundierte Weiterbildung für verschiedene Gesundheitsberufe. Der Fokus liegt auf evidenzbasierten Inhalten zur Diagnostik, Therapie, Prävention und Survivorship von Krebserkrankungen aus den Bereichen komplementäre Medizin, Sport und Ernährung. Der Studiengang umfasst 3 Semester Fernstudium mit einem Präsenzwochenende in Jena und schließt mit einer Masterarbeit (M.Sc.) ab. Zugelassen sind alle Berufstätigen des Gesundheitssystems mit einem ersten Hochschulabschluss in Medizin oder Gesundheitswissenschaften und mindestens einem Jahr Berufserfahrung. Die Entwicklung des Studiengangs wurde durch Umfragen und Stellungnahmen von Studierenden und Fachpersonen unterstützt.
Ergebnisse: Aus einer Bedarfsumfrage unter Studierenden (N=128) sowie aus Stellungnahmen (N=15) von Fachpersonen des Gesundheitssektors wird deutlich, dass der Studiengang eine bisherige Lücke in der Aus- und Weiterbildung schließt. Das Studienangebot wurde als attraktive und gut geeignete Alternative zu fachspezifischen konsekutiven Masterstudiengängen gesehen. Besonders positiv wurde die interdisziplinäre Ausrichtung bewertet, sowie die hohe Relevanz für eine Versorgungsverbesserung. Aus Sicht der Studierenden werden die Themen Ernährung und Körperliche Aktivität als besonders interessant eingeschätzt, während die Stellungnahmen die Notwendigkeit der evidenzbasierten Auseinandersetzung insbesondere im Bereich der Komplementärmedizin unterstreichen.
Diskussion: Der Studiengang füllt eine wichtige Lücke und bietet eine evidenzbasierte Weiterbildung in Integrativer Onkologie. Die vorgestellten Rahmenbedingungen werden als angemessen beurteilt und die erweiterte Berufsperspektive sowie Versorgungsverbesserung im Praxisalltag hervorgehoben. Der Studiengang wurde im April 2023 genehmigt und konnte bereits zum Wintersemester 2023 (Oktober) mit dem ersten Jahrgang starten.
Schlussfolgerung: Das Weiterbildungsstudium in Integrativer Onkologie an der Universität Jena bietet eine fundierte Ausbildung für Gesundheitsberufe und erfüllt die Anforderungen an berufsbegleitende Weiterbildungen. Es kann damit einen wesentlichen Beitrag zum Beratungsbedarf und der Versorgungsverbesserung in der Onkologie beitragen und für viele Fachrichtungen einen schnelleren Weg in die spezialisierte Weiterbildung ermöglichen.
Schlüsselwörter
Bildung, integrative Onkologie, evidenzbasierte Medizin
1. Einleitung
Integrative Onkologie kombiniert evidenzbasierte Behandlungen und Methoden aus den Bereichen der Ernährung, körperlichen Aktivität und komplementären Medizin (z.B. Phytotherapie) mit der konventionellen, „schulmedizinischen“ Behandlung. Insbesondere im Bereich der Komplementärmedizin, ist die kritische Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen aus der evidenzbasierten Medizin ein notwendiges Muss, um neben dem erforderlichen Fachwissen auch den politischen und gesellschaftlichen Aspekten im Versorgungsalltag (z.B. Homöopathie, [1]) gerecht werden zu können. Dabei wird deutlich, dass der Themenbereich sowohl aus Perspektive der Erkrankten wie auch der beteiligten Professionen zunehmend an Bedeutung gewinnt, denn durch die steigende Lebenserwartung dank besserer Therapien ist die Behandlung onkologischer Erkrankungen längst nicht mehr nur eine Frage des Heilens, sondern der Lebensqualität [2], [3].
Bisher ist die Integrative Onkologie und insbesondere die Komplementärmedizin jedoch in den wenigsten Weiterbildungsangeboten ausreichend realisiert [4] und auch im grundständigen Medizinstudium selbst oft nur unzureichend thematisiert. Dies wird in einer Studie von Trimborn et al. (2013) verdeutlicht, in denen sich etwa 73% des medizinischen Personals nicht ausreichend zum Thema der Komplementärmedizin informiert fühlen [5]. Gleichzeitig ergab eine Befragung aus den USA, dass 80% der Ärztinnen und Ärzte sowie 68% der Pflegekräfte die Komplementärmedizin als Unterstützung für Krebsbetroffene im Umgang mit der Erkrankung einschätzen [6].
Erste Schritte zur systematischen Einbeziehung der Integrativen Onkologie in den Versorgungalttag wurden durch die im Juni 2021 eingeführte S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der onkologischen Behandlung“ bereits unternommen. Diese empfiehlt nicht nur eine frühzeitige und regelmäßige Beratung von Krebserkrankten zum Thema Komplementärmedizin, sondern fordert sogar eine Verpflichtung hierzu [7]. Doch um hier souverän und laiengerecht im Versorgungsalltag beraten und behandeln zu können, sind spezialisierte Weiterbildungen mit einer evidenzbasierten Grundlage erforderlich, die bisher in Deutschland kaum vorhanden sind.
2. Projektbeschreibung
Mit dem berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengang Integrative Onkologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Medizinischen Fakultät und Fakultät für Biowissenschaften) und dem Universitätsklinikum Jena wurde erstmalig deutschlandweit ein postgraduelles Angebot für Personen unterschiedlicher Gesundheitsberufe mit akademischem Hintergrund entwickelt, das auf die wissenschaftlich fundierte Wissensvermittlung und Kompetenzstärkung im Bereich Integrative Onkologie zielt. Zu den Zulassungskriterien gehören ein erster Hochschulabschluss im Bereich der Medizin oder Gesundheitswissenschaften (z.B. Psychologie, Pharmazie, Pflege-, Ernährungs-, Sportwissenschaften, Ergo-, Physiotherapie) sowie mindestens ein Jahr Berufserfahrung im Gesundheitsbereich i.S.v. Beratung, Behandlung oder Diagnostik von onkologisch Erkrankten oder forschungsorientierten Tätigkeiten (z.B. Durchführung von Interventionsprojekten oder Befragungen) im Bereich der Onkologie. Der Studiengang orientiert sich an Niveau 7 des deutschen Qualifikationsrahmens [8], [9], den Vorgaben der Kultusministerkonferenz [10], sowie der Gesamt-Novelle der (Muster-)Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte der Bundesärztekammer [11] inklusive der darauf aufbauenden Novellierung durch die Thüringer Landesärztekammer [12]. Für die zielgruppengerechte Konzeptionierung wurde eine Umfrage unter Studierenden, sowie Stellungnahmen von mehreren Fachpersonen der beteiligten Fachgebiete eingefordert, die insbesondere den Bedarf und die Rahmenbedingungen an eine solche Weiterbildung eruieren sollten.
2.1. Aufbau
Der Online-Studiengang umfasst 3 Semester und kann bis auf ein Präsenzwochenende am Ende des dritten Semesters vollständig im Fernstudium absolviert werden. Er schließt mit einer Masterarbeit ab, die regulär im 3. Semester geschrieben wird, und vergibt den Abschluss Master of Science. Die Inhalte werden abwechselnd synchron in Online-Seminaren (alle 3 Wochen 2 Online-Seminare, á 3 Stunden, ab 18 Uhr) und asynchron durch Übungsaufgaben vermittelt und umfassen einen wöchentlichen Workload von etwa 10 Stunden. Die Übungsaufgaben umfassen u.a. Gruppenerarbeitungen zur aktuellen Studienlage der modulspezifischen Themen, sowie daraus abgeleitete Herangehensweisen und Empfehlungen für den Praxisalltag, die anschließend im Plenum diskutiert werden. Durch diese zeitliche und digitale Gestaltung des Studienganges soll die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie gewährleistet und gleichzeitig der angeleitete Perspektivenaustausch und die fachliche Diskussion gesichert werden. Er beinhaltet 4 Module, die in den ersten beiden Semestern belegt werden (2 Module pro Semester, á 10 ECTS, jeweils eine Prüfungsleistung):
2.1.1. Komplementäre Medizin
Das Modul behandelt u.a. biologisch basierte Methoden (z.B. Nahrungsergänzungsmittel, Phytotherapeutika), Mind-Body- Verfahren (z.B. Yoga, Tai-Chi), holistische Systeme (z.B. Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin, Anthroposophische Medizin) und körperorientierte Methoden (z.B. Physiotherapie, manuelle Medizin, Kälte- und Wärmeanwendungen) sowie Themen der Energiemedizin (z.B. Akupunktur, Auratherapie). Ein besonderer Fokus liegt auf der kritischen Auseinandersetzung und Abgrenzung der Alternativen Medizin zur Komplementären Medizin. Alle Inhalte werden dabei im Sinne der evidenzbasierten Medizin analysiert und reflektiert, sowie Möglichkeiten und Grenzen der Implementierung in das onkologische Gesamtversorgungskonzept diskutiert.
2.1.2. Ernährungsmedizin
Das Modul vermittelt vertiefende Kenntnisse zur Ernährung vor dem Hintergrund des onkologischen Gesamtkonzepts. Das Modul behandelt u.a. Grundlagen der Physiologie, Pathophysiologie und biochemischen Aspekte der Ernährung (Vitamine, Spurenelemente, Eiweißstoffwechsel) sowie bestimmende Größen des Energiestoffwechsels und dessen Besonderheiten in der Onkologie. Weiterhin werden Nutzen und Risiken bestimmter Ernährungsformen (vegetarisch, vegan) und Krebsdiäten diskutiert. Das Modul vermittelt Wissen zu der Rolle der Ernährung in der Prävention und Rehabilitation, sowie während der onkologischen Therapie und in bestimmten Krankheitssituationen.
2.1.3. Körperliche Aktivität
Das Modul vermittelt vertiefende Kenntnisse und Fähigkeiten über verschiedene Aspekte körperlicher Aktivität. Die Studierenden analysieren mögliche (Kontra-)Indikationen der körperlichen Aktivität in bestimmten onkologischen Therapie- und Krankheitssituationen. Es wird Wissen über körperliche Aktivität und Sport bei Krebs in der Primär- und Tertiärprävention (Historie, Folgen einer Inaktivität) und symptomspezifische Einflüsse vermittelt. Dabei werden ausgewählte Trainingsmethoden (onkologische Trainingstherapie) analysiert und diskutiert.
2.1.4. Integrative Onkologie
Dieses Modul vermittelt fachübergreifendes Wissen über die integrative Onkologie. Dabei werden Nutzen und Risiken symptomatischer Therapieoptionen und dessen Angemessenheit im Rahmen der integrativen Onkologie analysiert. Ein besonderer Fokus liegt auf der Integration der Themen in die laiengerechte Kommunikation und Information an krebserkrankte Personen und deren Angehörige zur Stärkung der Resilienz und Selbstwirksamkeit. Die Studierenden lernen die gezielte Beratung zur Nutzen- und Risikoabwägung von Methoden der Komplementären Medizin, der Ernährungsmedizin und der Sportmedizin, sowie die damit verbundene Kommunikation mit Laien, anderen Berufsgruppen und Medien. Zusätzlich werden die ethische Bewertung und rechtliche Grundlagen der Entscheidungsfindung vor dem onkologischen Hintergrund diskutiert.
3. Ergebnisse
Die Online-Umfrage wurde an Studierende der Gesundheitsbereiche der Jenaer Hochschulen durch die Verteiler von insgesamt 13 Fachschaften versendet, dauerte im Schnitt 10 Minuten und enthielt geschlossene Fragen (Likert-Skala von 1-4) und Freitextantworten. Mit der Umfrage sollte die persönliche Meinung zu Inhalten und Rahmenbedingungen sowie die zum Bedarf auf studentischer Ebene eingeholt werden. Neben demographischen Angaben wurden Erfahrungen im Bereich der Onkologie (3 Fragen, z.B. „Wie würden Sie Ihr bisheriges Wissen zur Integrativen Onkologie und Komplementärmedizin einschätzen?“) und die Einschätzung der Rahmenbedingungen des geplanten Studienganges (9 Fragen, z.B. „Wie hoch darf der max. Arbeitsaufwand pro Woche für das berufsbegleitende Studium sein?“) erhoben. Eine einleitende Definition zu Integrativer Onkologie sowie eine Übersicht zu der geplanten Umsetzung war der Umfrage vorangestellt. Drei offene Fragen ermöglichten den Studierenden die freie Einschätzung zu beruflichen Perspektiven durch den Studiengang, das Interesse am Thema im eigenen Fachgebiet und Anmerkungen zu den Rahmenbedingungen. Die Antworten wurden für die Auswertung zusammengetragen und zusammengefasst. Es nahmen insgesamt 128 Studierende teil (88.3% weiblich, 10.9% männlich, 0.7% divers). Die Studierenden waren im Mittel 22 Jahre alt (M=22.31, SD=3.52) und stammten aus den Fächern Ernährungswissenschaften, Soziale Arbeit, Psychologie, Medizin, Rettungswesen, Kommunikations-, Sport- und Pflegewissenschaften, Physiotherapie, Ergotherapie und Hebammenkunde. Die meisten Studierenden (74.0%) gaben an, bisher eher schlechtes Wissen im Bereich der Integrativen Onkologie und Komplementärmedizin zu haben, aber schätzen das Studienangebot sowohl für sich selbst (56.1%) als auch für Studierende ihres jeweiligen Studienganges insgesamt (48.2%) als attraktiv ein. Insgesamt sehen 71.9% das Studienangebot teilweise oder vollständig als Alternative zum bisherigen Angebot konsekutiver Masterstudiengänge der einzelnen Fachdisziplinen (z.B. dem M.Sc. Ernährungswissenschaften). Bei den Rahmenbedingungen wurde besonders die interprofessionelle Ausrichtung als attraktiv bewertet (M=3.5, SD=0.56), aber auch das beschriebene Online-Format (M=3.1, SD=0.89), die Zulassungsvoraussetzungen (M=3.1, SD=0.77) und die Dauer des Studiums (M=3.3, SD=0.66) wurden im Schnitt als angemessen bewertet. Als besonders interessant wurden die Themen Ernährung bei Krebserkrankungen (M=3.6, SD=0.63), Prävention (M=3.6, SD=0.58), Nachsorge (M=3.4, SD=0.65) und körperliche Aktivität bei Krebserkrankungen (M=3.4, SD=0.73) genannt. Das am wenigsten interessante Thema war Spiritualität (M=2.5, SD=0.98).Aus den Freitextantworten wird insbesondere die Relevanz der Thematik für den Bereich der Ernährungswissenschaften deutlich. So geben 21 Studierende an, dass Ernährung besonders relevant sei für die Behandlung onkologischer Erkrankungen und als gesundheitsfördernde und therapieunterstützende Maßnahme diene. Gleichzeitig wird durch 20 Nennungen die berufliche Chance beschrieben, sich akademisch spezialisieren zu können und damit bessere Aussichten in Kliniken zu haben. Bei den Rahmenbedingungen wurde v.a. die Voraussetzung der einjährigen Berufserfahrung als kritisch angesehen, da die Studierenden (N=12) angaben, dass der Einstieg in den Beruf am schwierigsten sei und man daher die erforderlichen Voraussetzungen schwerer erfüllen könne.
Die Stellungnahmen (N=15) wurden durch ein leitfadengestütztes Interview per Zoom eingeholt, verschriftlicht und von den Befragten korrigiert sowie bestätigt. Der Leitfaden enthielt 3 Themenblöcke: Bisherige Berührungspunkte im Studium und im Beruf mit Integrativer Onkologie, Einschätzung des Bedarfs und der Zielgruppen am Weiterbildungsangebot, Einschätzung der Attraktivität des Weiterbildungsangebots. Angefragt wurden Studierende aus der Umfrage, sowie Experten der verschiedenen Fachdisziplinen, die sich bereits mit Integrativer Onkologie beschäftigen und daher die Thematik und den Weiterbildungsbedarf einschätzen können. Hier wurde insbesondere das Netzwerk der Arbeitsgruppe PRIO (Prävention und Integrative Onkologie) der Deutschen Krebsgesellschaft angefragt, die als größte und etablierteste Arbeitsgemeinschaft Deutschlands bereits seit 2017 zertifizierte Weiterbildung im Bereich der Integrativen Onkologie anbietet. Um die Anonymität der Befragten sicher gewährleisten zu können, wurde auf demographische Angaben verzichtet. Es gab fünf Stellungnahmen aus dem Bereich der Medizin, zwei aus den Pflegewissenschaften, eine aus der Psychologie, eine aus der Pharmazie, zwei aus den Sportwissenschaften und vier Studierende (hiervon zwei aus der Ernährung, eine aus der Kommunikationswissenschaft und eine aus der Psychologie). Als Konsens ist ersichtlich, dass der Studiengang für nicht-medizinische Fächer eine attraktive Alternative und Ergänzung zu bisherigen Angeboten wäre, sowie das Berufsfeld erweitern und einen früheren Praxiseinbezug bei gleichbleibend hohem akademischem Niveau ermöglichen könnte (n=12). Aus medizinischer Perspektive ist die Weiterbildung besonders in Hinblick auf die evidenzbasierte kritische Auseinandersetzung im Bereich der Komplementärmedizin von Bedeutung (n=4), da diese Themen sehr divers diskutiert werden und nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesellschaftliche und politische Aspekte bedacht werden müssen (z.B. im Bereich Homöopathie). Die Rahmenbedingungen wurden speziell für Berufstätige durchgehend als machbar eingeschätzt. Allerdings wiesen alle Interviewten darauf hin, dass die Kosten (in Summe: 12.900€) einen Hinderungsgrund darstellen könnten, insbesondere für Personen aus den Pflege-, Ernährungs- und Gesundheitswissenschaften. Von 5 Personen wurde angemerkt, dass inhaltlich auch die Vernetzung und Strukturierung im Klinikalltag aufgegriffen werden sollte, um die Themen schlussendlich sicher in die Praxis überführen zu können. Grundsätzlich sind Spezialisierungen in diesem Themengebiet ausdrücklich gewünscht (n=13), bisher jedoch kaum vorhanden (n=10) und besonders die wissenschaftliche Auseinandersetzung scheint auf einen hohen Bedarf zu treffen (n=12). Alle Stellungnahmen stimmen darin überein, dass der Studiengang eine Bedarfslücke schließt (n=15).
4. Diskussion und Schlussfolgerung
Die Konzeptionierung und Etablierung eines berufsbegleitenden Weiterbildungsstudienganges im Bereich der Integrativen Medizin schließt eine Bedarfslücke, die sowohl aus professioneller als auch aus studentischer Perspektive bestätigt wurde. Besonders die Themen Ernährung und körperliche Aktivität wurden aus studentischer Perspektive als interessant und bedeutsam für den Versorgungsalltag eingeschätzt. Die Rahmenbedingungen erschienen allen Befragten angemessen für eine berufsbegleitende Weiterbildung. In den Ernährungswissenschaften zeichnete sich ein besonderer Bedarf ab, da spezialisierte Weiterbildungen im klinischen Bereich bisher eher unüblich sind und eine neue Berufsperspektive eröffnen. Positiv sei auch das akademische Niveau des Studienganges, dass die kritische Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Evidenz der einzelnen Themen fokussiert.
Kritisch ist anzumerken, dass durch die zeitlich sehr enge Taktung der einzelnen Implementierungsschritte, eine umfangreiche und langfristige Bedarfserhebung nur schwer umsetzbar war. Trotz bestmöglicher Durchführung der Erhebung, sind die Ergebnisse der Umfrage und Stellungnahmen aufgrund der Stichprobengröße und Eingrenzung auf den Bereich Jena (in der studentischen Stichprobe) daher nicht generalisierbar und erlauben keine allgemeingültigen Rückschlüsse auf den Bedarf oder die Einstellung der Zielgruppen. Aufgrund des hohen Frauenanteils in der studentischen Befragung ist zudem eine Verzerrung durch den Geschlechter-Bias nicht ausgeschlossen. Nichtsdestotrotz ergaben insbesondere die Stellungnahmen wichtige Hinweise für die erfolgreiche Implementierung des Studienganges aus der Praxisperspektive und sind daher von hohem qualitativem Wert.
Die größte Kritik und Skepsis kam bezüglich des Studienentgelts auf, was bei Betrachtung der unterschiedlichen finanziellen Rahmenbedingungen der einzelnen Professionen nachvollziehbar ist. Da es jedoch eine Selbstfinanzierungspflicht von Weiterbildungen an deutschen Hochschulen nach §6 des Thüringer Hochschulgesetzes gibt [13], ist der Spielraum für mögliche Subventionsstrategien sehr klein. Viele ähnliche Weiterbildungsangebote bewegen sich zudem in einem ähnlichen finanziellen Rahmen.
Der Studiengang wurde im April 2023 durch das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft genehmigt und konnte bereits zum Wintersemester 2023-24 erfolgreich starten. Dass ein erster Jahrgang trotz der Kurzfristigkeit des Angebotes und dem erforderlichen Studienentgelt zustande gekommen ist, unterstreicht die Relevanz des Studienganges und den Bedarf an Weiterbildung im Bereich der Integrativen Onkologie. Der Studiengang ist in der Systemakkreditierung der Friedrich-Schiller-Universität verankert und muss folglich regelmäßig evaluiert werden. In diesen künftigen Evaluationsergebnissen wird sich zeigen, ob die Umsetzung des Studienganges gelungen ist und welche weiteren Optimierungsmaßnahmen getroffen werden können.
ORCID der Autorin
Sarah Salomo: [0009-0006-3107-3597]
Interessenkonflikt
Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
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[10] Kultusministerkonferenz. Vierte Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Weiterbildung. Berlin: Kultusministerkonferenz; 2001. Zugänglich unter/available from: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2001/2001_02_01-4-Empfehlung-Weiterbildung.pdf
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[12] Landesärztekammer Thüringen. Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Thüringen. Jena: Landesärztekammer Thüringen; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.laek-thueringen.de/files/1730914DB43/Weiterbildungsordnung_neu.pdf
[13] Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, Thüringen. Thüringer Hochschulgesetz mit Thüringer Hochschulgebühren- und -entgeltgesetz. Jena: Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft; 2018. Zugänglich unter/available from: https://www.tlpk.de/fileadmin/Downloads/Allgemeines/hochschulgesetz_mobil_optimiert_2018.pdf