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GMS Journal for Medical Education__Temp

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

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Leitartikel
Humanmedizin

[Medical Education Research in German Speaking Countries: Quantit? N?gligeable?]

 Eckhart G. Hahn 1

1 Medizinische Klinik 1, Universit?tsklinikum Erlangen, Friedrich-Alexander-Universit?t Erlangen-N?rnberg, Erlangen, Deutschland




Leitartikel

Wissenschaftlichkeit der Hochschulmedizin

Die Hochschulmedizin ist durchdrungen vom Anspruch der Wissenschaftlichkeit in Forschung, Lehre und ?rztlicher T?tigkeit (bezogen auf Gesundheit und Krankheit). Die Kriterien der Wissenschaftlichkeit in der Hochschulmedizin haben Glassick et al. [1] untersucht und f?r die Forschung, Lehre und Krankenversorgung gemeinsame methodischen Ans?tze festgestellt, die besonders f?r Forschen und Lehren auff?llig verwandt sind (Tabelle 1 [Tab. 1]). Forschung und Lehre in der Hochschulmedizin richten sich zudem nicht nur auf Gesundheit und Krankheit, sondern machen sich auch gegenseitig zum Gegenstand ihres Interesses: Forschung wird gelehrt, und ?ber die Lehre wird geforscht (Abbildung 1 [Abb. 1]). Gemeinsamer Nenner ist das Ziel, die Versorgung von Menschen in Gesundheit und Krankheit durch Nachwuchs an Forschern, Lehrern und ?rzten m?glichst effizient sicher zu stellen und st?ndig zu verbessern. Die Ausbildung aller drei Gruppen hat demgem?? eine hohe gesellschaftliche Bedeutung, sollte selbst den Kriterien der Wissenschaflichkeit gen?gen und somit evidenzbasiert sein [2].

Tabelle 1: Glassick?s Kriterien f?r die Wissenschaftlichkeit von medizinischer Forschung und Lehre [1].

Abbildung 1: Forschung und Lehre haben nicht nur Gesundheit und Krankheit zum Gegenstand, sondern k?nnen sich auch gegenseitig betreffen: Ausbildung in der Forschung und Ausbildungsforschung finden statt.

Evidenzbasierte Medizinische Ausbildung und Ausbildungsforschung

Die evidenzbasierte professionelle Ausbildung in Forschung, Lehre und Krankenversorgung obliegt den Medizinischen Fakult?ten, desgleichen die dazu notwendige Ausbildungsforschung. Findet Ausbildungsforschung an unseren Medizinischen Fakult?ten statt? Wie stellt sich die Situation in den deutschsprachigen L?ndern dar, insbesondere im Vergleich mit medizinischer Grundlagenforschung, klinischer Forschung und Patientenversorgung?

Lehre und Ausbildungsforschung in Deutschland

In Deutschland hat der Wissenschaftsrat am 31.1.2004 Empfehlungen zu forschungs- und lehrf?rderlichen Strukturen in der Universit?tsmedizin ver?ffentlicht [3]. Von den 112 Seiten sind 6 der Lehre gewidmet. Es gibt offensichtlich nicht viel dar?ber in Deutschland zu berichten, und gro?e Hitze entwickelt sich ?ber diese Tatsache auch nicht. Festgestellt wird aber, dass ([3], S. 86) „Im Vergleich zur Bedeutung von Forschung und Krankenversorgung wird der Lehre nicht die ihr angemessene Aufmerksamkeit beigemessen" und ([3] S. 86) „Die untergeordnete Rolle der Lehre zeigt sich auch darin, dass eine Ausbildungsforschung nur vereinzelt etabliert und professionalisiert ist". Aus diesen und anderen Beobachtungen leitet der Wissenschaftsrat eine Reihe von Empfehlungen ab, die in der neuen deutschen Approbationsordnung f?r ?rzte [4] im Wesentlichen schon ber?cksichtigt und gefordert werden. Er entwickelt aber keine Vorstellungen ?ber Ausbildungsforschung. Ausbildungsforschung kommt auch in den sonst ausf?hrlichen Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu forschungsf?rderlichen Strukturen nicht mehr vor.

In dem Bericht der Sachverst?ndigenkommission zur Bewertung der Medizinischen Ausbildung in Baden-W?rttemberg [5] wird ebenfalls Ausbildungsforschung nicht erw?hnt. Die 3.1 Mrd. Euro Drittmittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des Bundes und der Unternehmen im Jahr 2001 enthalten nur verschwindend geringe Zuwendungen f?r Forschungsprojekte ?ber Lehre und Lernen in der Medizin. Der Jahresbericht 2003 der DFG [6] vermittelt einen ?hnlichen Eindruck. F?r die Suchbegriffe „Medizinische Ausbildung" und „Ausbildungsforschung" gibt es keine Treffer, f?r „Erziehungswissenschaft" 5 (irrelevante) Treffer und f?r „Bildungsforschung" einen Treffer f?r eine „F?rderinitiative Bildungsforschung", die immerhin naturwissenschaftlichen Unterricht an Schulen f?rdert.

Lehre und Lernen in der Hochschulmedizin sind also kein Forschungsfeld in Deutschland. Woran liegt das? Gibt es keinen Bedarf? Sind gestellte Antr?ge zu schlecht und werden deshalb abgelehnt? Oder gibt es strukturelle Hindernisse in der Deutschen Forschungslandschaft f?r die medizinische (Aus)bildungsforschung?

Bedeutung der Ausbildungsforschung

Fehlende Forschung in einem so wichtigen Bereich wie medizinischer Ausbildung hat dramatische Folgen: moderne p?dagogische bzw. andragogische (auf Erwachsene bezogene) Methoden der medizinischen Ausbildung werden mangels eigener Leistungen importiert und wegen des Reformstaus an den Fakult?ten schnell eingesetzt. Das ist unumg?nglich, wir m?ssen schnell aufholen. Es fehlen aber weithin die Forschungsgruppen, die in der Lage w?ren, die Eignung dieser Methoden in unserem Kulturkreis kritisch zu hinterfragen, die Begrifflichkeiten im Deutschen verst?ndlich zu machen, Ausbildungsverfahren weiterzuentwickeln und effizienter zu gestalten. Evidenzbasierte medizinische Ausbildung ist in Deutschland derzeit „Best Evidence Medical Education (BEME)" aus Dundee, Schottland [2] - ein Schelm ist, wer B?ses dabei denkt!

Reformen des Medizinstudiums - evidenzbasiert?

In einigen deutschsprachigen reformaktiven Fakult?ten ist in der medizinischen Ausbildung Bewegung entstanden. Modellstudieng?nge werden etabliert, professionelle Studien- und Lehrpl?ne mit entsprechenden Pr?finstrumenten verbunden, Evaluationsprozesse etabliert und Hochschullehrer vorbereitet. An den ?sterreichischen und Schweizer Fakult?ten ist die Reform des Medizinstudiums in diesem Sinne schon weit fortgeschritten, und in Deutschland sind alle Fakult?ten mit der Umsetzung der neuen Approbationsordnung [4] vom 27.6.2002 (in Kraft getreten am 1.10.2003) vollauf besch?ftigt. Werden dabei die Ergebnisse medizinischen Ausbildungsforschung ber?cksichtigt? Wird dabei auch Ausbildungsforschung eingef?hrt?

Schwierigkeiten in den Medizinischen Fakult?ten

Viele Fakult?ten haben verst?ndlicherweise Schwierigkeiten selbst bei der Einf?hrung von evidenzbasierten Lehrangeboten und von validen und reliablen Pr?fungen. Allenthalben fehlt das dazu n?tige Budget, und es gibt nicht ann?hernd genug professionelles Lehrpersonal. Wenn m?glich werden innovative Projekte auf der Basis von externer (importierter) Evidenz durchgef?hrt, die dem Kriterium der Verallgemeinerbarkeit nicht gen?gen und somit keine echte Forschungsfrage beantworten k?nnen. Wenn auch neue Ausbildungsprogramme h?ufig wissenschaftlichen Erkenntnissen der Ausbildungsforschung gen?gen, so stammen diese regelhaft aus dem angels?chsischen oder nicht-Deutschen Sprachraum. Nur wenige Reformstudieng?nge machen hier eine r?hmliche Ausnahme.

Probleme der Ausbildungsforschung

Deutschland - und wohl auch ?sterreich und die Schweiz - geh?ren also zu den L?ndern, die es sich leisten, auf eine nennenswerte empirische und experimentelle medizinische Ausbildungsforschung zu verzichten. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man in den letzten Jahrg?ngen internationaler Zeitschriften f?r Medizinische Ausbildung Publikationen aus dem Deutschen Sprachraum sucht [7]. M?glicherweise gilt dies in Deutschland f?r den gesamten Bereich der Erziehungswissenschaften [8], obwohl dem sofort widersprochen wurde [9]. Medizinische Grundlagenforschung und klinische Ergebnisforschung sind kompliziert und enthalten Variablen, die experimentell kontrolliert werden m?ssen. In der Ausbildungsforschung werden die Ergebnisse von noch komplizierteren Variablen, n?mlich den Lehrenden und Lernenden selbst entscheidend beeinflu?t; diese „unabh?ngigen" Variablen stehen unter dem Einfluss vieler schwer kontrollierbarer Faktoren. Das macht Ausbildungsforschung noch mehr als klinische Ergebnisforschung anspruchsvoll und langwierig, von der Forschungsfrage ?ber die Hypothesenbildung, die Wahl der Pr?finstrumente und statistischen Verfahren bis zur Projektfinanzierung. Dennoch gibt es Verfahren, solche Variablen zu kontrollieren. Wenn dies nicht beachtet wird, zerrinnt der Anspruch der Verallgemeinerbarkeit zwischen den Fingern. Darauf ist kaum eine unserer deutschsprachigen Medizinische Fakult?ten vorbereitet. Schlie?lich: auch diese Forschung mu? finanziert werden. Unternehmen stehen nicht dahinter, Fakult?ten, Stiftungen und vor allem die Politiker wollen schnelle Resultate sehen. Ausbildungsprojekte machen das Rennen, weil es viel nachzuholen gilt. Wie soll aber festgestellt werden, ob die neuen Angebote besser sind als die alten? Wie sie sich in der Wirklichkeit unserer Fakult?ten auswirken? Nur eine systematische Ausbildungsforschung kann diese Fragen beantworten. Wohin wenden wir uns auf der Suche nach F?rdermitteln? Letztlich ist die Frage der Zust?ndigkeit f?r medizinische Ausbildungsforschung Deutschlands in Bund und L?ndern ein Gestr?pp; hier werden noch mehr als in der klinischen Ergebnisforschung strukturelle Defizite sichtbar, die derzeit eine un?berwindliche Barriere f?r eine erfolgreiche Projektfinanzierung in der Ausbildungsforschung darstellen k?nnen.

Zukunft der evidenzbasierten medizinischen Ausbildung und der Ausbildungsforschung

Der Medizinische Fakult?tentag (MFT, http://www.mft-online.de) und die Gesellschaft f?r Medizinische Ausbildung (GMA, http://www.gesellschaft-medizinische-ausbildung.org) treten gemeinsame daf?r ein, die Ausbildungsforschung zum Motor der medizinischen Ausbildung in Deutschland zu machen [7]. Die „Akademie f?r Ausbildung in der Hochschulmedizin (AHM)" des MFT hat zusammen mit dem Programm „Neue Wege in der Medizinerausbildung" des Stifterverbandes f?r die Deutsche Wissenschaft und der Heinz Nixdorf Stiftung ein Ausbildungsprogramm zum „Master of Medical Education" in Deutschland (MME-D) entwickelt, dass auch ein Training in der Ausbildungsforschung umfasst [7], [10]. Der schon l?nger bestehende Nachdiplomstudiengang „Master of Medical Education" an der Universit?t Bern (http://www.mme.iml.unibe.ch), der f?r den MME-D Vorbild ist, verfolgt ebenfalls diese Strategie. Die GMA wird sich gemeinsam mit dem MFT energisch daf?r einsetzen, dass die ?ffentlichkeit f?r diese Fragen sensibilisiert wird und die Politik und F?rdereinrichtungen f?r medizinische Ausbildungsforschung nachhaltige Zust?ndigkeit entwickeln. Es mu? erkannt werden, dass Ausbildungsforschung die Voraussetzung f?r Wissenschaftlichkeit und damit die Qualit?t in allen Bereichen der Hochschulmedizin ist und das dies am Krankenbett und im Gesundheitswesen sp?rbar ist. Lehre und Lernen als Forschungsfeld m?ssen sich lohnen und eine Chance zur Drittmitteleinwerbung der Fakult?ten werden. Jeder Hochschullehrer an unseren Medizinischen Fakult?ten ist aufgerufen, zur evidenzbasierten medizinischen Ausbildung und zur medizinischen Ausbildungsforschung beizutragen!


Literatur

[1] Glassick CE, Huber MR, Maeroff GI. Scholarship Assessed - Evaluation of the Professoriate. Jossey-Bass; 1997.
[2] Harden RM, Grant J, Buckley G, Hart IR. Best Evidence Medical Education. Med Teacher . 1999;21:553-562.
[3] Niethammer D. Empfehlungen zu forschungs- und lehrf?rderlichen Strukturen in der Universit?tsmedizin. Wissenschaftsrat; 2004:85-91. Zug?nglich unter: http://www.wissenschaftsrat.de/texte/5913-04.pdf.
[4] Bundesministerium f?r Gesundheit und Soziale Sicherheit. Approbationsordnung f?r ?rzte. Bundesgesetzblatt. 2002. Zug?nglich unter: http://www.bmgs.bund.de/download/gesetze/gesundheitsberufe/approbation.pdf.
[5] Ministerium f?r Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-W?rttemberg. Medizinische Ausbildung in Baden-W?rttemberg. Aktuelle Reihe. Stuttgart: Schw?bische Druckerei GmbH; 2001. Zug?nglich unter: http://www.mwk-bw.de/Aktuelles/Publikationen_index.html.
[6] Deutsche Forschungsgemeinschaft. Jahresbreicht der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bonn: Deutsche Forschungsgemeinschaft; 2003. Zug?nglich unter: http://www.dfg.de/jahresbericht/auf_erg.htm.
[7] Hahn EG. Lehre als Forschungsfeld. In: Tagungsbericht des ordentlichen Medizinischen Fakult?tentages 2004, Freiburg. 2004. Zug?nglich unter: http://www.mft-online.de/buch4/pdf/TOP18_Hahn.pdf.
[8] Kahl R, Spiewak M. Nur bedingt wissenschaftlich. Die Erziehungswissenschaften haben in der Forschung und der Lehrerausbildung versagt. Eine Polemik. Zeit. 2005:11. Zug?nglich unter: http://www.zeit.de/2005/11/B-Erziehungswissenschaften.
[9] Merkens H. Erziehungswissenschaft. Unbedingt wissenschaftlich. Zeit. 2005:13. Zug?nglich unter: http://www.zeit.de/2005/13/Replik.
[10] Putz R. Akademie f?r Ausbildung in der Hochschulmedizin. In: Tagungsbericht des ordentlichen Medizinischen Fakult?tentages 2004. Freiburg; 2004. Zug?nglich unter: http://www.mft-online.de/buch4/pdf/TOP16_Putz.pdf.