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GMS Onkologische Rehabilitation und Sozialmedizin

Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e. V. (DGHO)

2194-2919


The full text of this article is only available in German.
Übersichtsarbeit
Cancer Survivorship

[Sport and physical exercise for cancer patients: What sport? Which patient?]

 Birgit Leibbrand 1

1 Salzetalklinik, Bad Salzuflen, Deutschland

Abstract

Malignancies are still the second common cause of death for females and males in Germany. At present people suffering from cancer die at a mean age of 73 years (Statistisches Bundesamt 2013). On the other hand lack of physical activity is increasing in Germany in both sexes and across social levels. Nowadays only 21% of German people show a sufficient level of physical activity (DEGS-Symposium 2012). Since physical activity plays an important supportive role in cancer patients there is a good target for improvement of oncologic strategies. It seems reasonable to establish “sport and physical exercise” as individual adjusted modules physical activity not only in a preventive but also in a continuous setting of supportive care in cancer therapy. For this purpose volitious strategies such as individual adjusted plans of action and coping integrating sport and physical exercise in everyday routine seem to be well suited, as shown successfully in the INOP study during and after oncologic rehabilitation (Individuelle Nachsorge onkologischer Patienten. Konzeption und Evaluation von nachsorgebezogener Intervention zur langfristigen Verstetigung von Rehabilitationserfolgen [Individual aftercare of oncologic patients. Concept and evaluation of aftercare related intervention to perpetuate rehabilitation success] ).


Einführung

Bereits Hippokrates hat die Aussage getroffen „Essen allein wird einen Mann nicht gesund erhalten, er muss sich auch bewegen“. Diese Erkenntnis kommt inzwischen auch in der Onkologie an. Heute gilt, neben den klassischen medizinischen Therapien, „Sport und Bewegung“ als eigenständige und unterstützend wirksame Therapieform einer Krebserkrankung. Diese Erkenntnis ist umso bedeutender, da Tumorerkrankungen weiterhin noch die zweithäufigste Todesursache in Deutschland darstellen. Bei Männern führen Krebserkrankungen der Verdauungsorgane mit 32% am häufigsten zum Tod, gefolgt von Bronchialkrebs (26%). Auch Frauen sterben mit 30% am häufigsten an Krebserkrankungen der Verdauungsorgane, hier gefolgt von Brustkrebs (18%), wobei sich das Alter der an Krebs verstorbenen Menschen in den letzten Jahren um 3,1 Jahre auf Gesamt 73 Jahre erhöht hat (Statistisches Bundesamt 2013). Im Gegensatz dazu greift in Deutschland eine Bewegungsarmut um sich, die alle Schichten erfasst und über beide Geschlechter relativ gleichmäßig verteilt ist, nur 21% der Menschen in Deutschland sind mindestens 5x pro Woche mindestens 30 Minuten körperlich so aktiv, dass sie außer Atem oder ins Schwitzen geraten (DEGS-Symposium 2012).

Bei Krebserkrankungen geht es schon lange nicht mehr um das reine Überleben sondern auch um Lebensqualität, hierbei scheinen „Sport und Bewegung“ durch positive Eigenschaften auf verschiedene Körperfunktionen eine große Rolle zu spielen. Die Auswirkungen körperlicher Aktivität beschränken sich nicht nur auf körperliche Faktoren wie Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit, sie schließen günstige Auswirkungen auf kardiovaskuläre, metabolische und endokrinologische Systeme mit ein und beeinflussen kurz- sowie langfristig das psychische Wohlbefinden der Betroffenen [3]. Körperliche Aktivität wird dabei wie folgt definiert: „Körperliche Aktivität meint jede Bewegung, die durch die Skelettmuskulatur erzeugt wird. Körperliche Übungen und körperliches Training sind gezielte Aktivitäten, die so ausgeübt werden, dass sie die Herzkreislaufleistungsfähigkeit verbessern oder erhalten sollen“ ([11], S. 203). Körperliche Aktivität ist primärpräventiv als auch sekundär-/tertiärpräventiv wirksam. Dabei wirken sich insbesondere Ausdauersportarten wie z.B. Walken, Nordic Walking, Joggen, Schwimmen oder Fahrradfahren positiv aus, wenn die Betroffenen angepasst trainieren. Sie verbessern die kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit und unterstützen Aufbau und Stärkung des muskulären Apparates. Zusätzlich werden mentales [13] und psychisches Wohlbefinden [12], [11] gefördert. Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbständigkeit [6] werden stabilisiert und soziale Ressourcen [5] ausgebaut. Durch moderaten Ausdauersport kommt es zu einer Restabilisierung des Immunsystems [14].

Sport und Bewegung bei Krebs

In der Bewältigung einer Krebserkrankung erlangen „Sport und Bewegung“ eine zunehmende Rolle [4], [9], [2]. Hierbei ist es wichtig, dass mit der Sport- und Bewegungstherapie schon frühzeitig begonnen wird [7], [2]. Es ist an der Zeit alte Zöpfe abzuschneiden und mit dem zum Teil immer noch ärztlich verordneten „Schonverhalten“ für Krebspatienten zu brechen, da gezielte körperliche Aktivität bei Tumorpatienten den Auswirkungen der Erkrankung und auch den therapiebedingten Nebenwirkungen und Folgeproblemen effektiv entgegen wirken kann. Schon mit Diagnosestellung sollte ein individuelles Sport- und Bewegungsprogramm empfohlen werden bzw. bereits sportlich aktive Betroffene motiviert werden, ihre körperliche Aktivität auch während der gesamten Behandlungsphase, angepasst an die jeweilige Leistungsfähigkeit, beizubehalten. Dabei ist es durchaus sinnvoll, Vorlieben der Patienten zu berücksichtigen und die Trainingsprogramme individuell anzupassen und aufzubauen [7], [2]. Krankengymnastische Übungen alleine, häufig im stationär-klinischen Setting verordnet, erscheinen nicht ausreichend. Sie wirken sich zwar positiv auf die Beweglichkeit aus, sind aber deutlich weniger effektiv, in Bezug auf die Verbesserung der verminderten Leistungsfähigkeit des kardiovaskulären und muskulären Systems während und nach der onkologischen Behandlungsphase. Konkrete Empfehlungen zu „Sport und Bewegung“ für die praktische Umsetzung von Trainingsprogrammen für Krebspatienten werden im klinischen Umfeld nur unzureichend gegeben [1]. Im Rahmen onkologischer Erkrankungen erscheint es also sinnvoll, die in Deutschland gut strukturierten stationären und ambulanten onkologischen Rehabilitationsangebote zu nutzen, da sich hier die Betroffenen konfrontativ mit unterschiedlichen Sport- und Bewegungsarten zwangsläufig auseinandersetzen müssen (Reha-Qualitätssicherung der Deutschen Rentenversicherung). Hierbei zeigt sich jedoch, dass es nur wenige Rehabilitanden schaffen, die individuell angepasste und sinnvoll erfahrene körperliche Aktivität langfristig aufrecht zu erhalten, trotz einer durchaus guten Motivationslage im Zusammenhang mit der Krebserkrankung und vieler guter Vorsätze. Interessante Erklärungsversuche hierfür finden sich in dem „Sozialkognitiven Prozessmodell gesundheitlichen Handelns“ (Health Action Process Approach, HAPA; [15], [16]), s. Abbildung 1 [Abb. 1].

Abbildung 1: Sozialkognitives Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (modifiziert nach Schwarzer)

Dieses Modell unterscheidet eine motivationale Phase (Prozess der Intentionsbildung) und eine volitionale Phase (Prozess der Intentionsumsetzung). Insbesondere für die regelmäßige dauerhafte Umsetzung von Bewegungsabsichten spielen volitionale Strategien [8] eine große Rolle. Den Einsatz spezifischer volitionaler Strategien zur Erstellung und langfristigen Umsetzung individueller Handlungs- und Bewältigungspläne in Bezug auf körperliche Aktivität und Entspannungsverhalten hat sich die INOP-Studie (Individuelle Nachsorge onkologischer Patienten. Konzeption und Evaluation von nachsorgebezogener Intervention zur langfristigen Verstetigung von Rehabilitationserfolgen [10]) als Ziel gesetzt. Dabei handelt es sich um eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie in fünf onkologischen Rehabilitationseinrichtungen. Die Teilnehmer wurden im Rahmen einer onkologischen Rehabilitation in vier Studiengruppen randomisiert zugeordnet, dabei handelt es sich um drei Interventionsgruppen und eine Kontrollgruppe, s. Abbildung 2 [Abb. 2].

Abbildung 2: INOP: RCT-Studiendesign

Diese Studie konnte zeigen, dass durch definierte Interventionen volitionaler Strategien körperliche Aktivität im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme gesteigert und langfristig erhalten werden konnte (Tabelle 1 [Tab. 1], Abbildung 3 [Abb. 3]).

Tabelle 1: Durchschnittliche Aktivitätszeiten (Min./Wo) der jeweiligen Sportarten zu Beginn (T1), sechs (T3) und zwölf (T4) Monate nach Abschluss der Rehabilitation der Gesamtprobe. Statistik: T-Test.

Abbildung 3: Durchschnittliche körperliche Aktivität (Min./Wo.) der 4 Studiengruppen zu Beginn der Rehabilitation (T1), zu T3, 6 Monate und T4, 12 Monate danach. IG: Interventionsgruppe, KG: Kontrollgruppe. Statistik: ANCOVA mit Messwiederholung.

Körperliche Aktivität setzt sich zusammen aus der Summe von Sport- und Bewegungsaktivitäten im Alltag, wobei die INOP-Module A und B das regelmäßige Sport- als auch das regelmäßige Bewegungsverhalten steigern konnten.

Empfehlungen für die Praxis

„Sport und Bewegung“ sollte von allen Akteuren des Gesundheitswesens in Zusammenhang mit einer Krebserkrankung als wirksame Therapieform anerkannt werden. Somit sollte auch jeder Behandler die Sport- und Bewegungstherapie mit in sein Behandlungskonzept, auch im Rahmen von Immun-Chemotherapien, Strahlentherapien und anderen individualisierten Tumortherapien mit aufnehmen und mit den Patienten individuell angepasste Sport- und Bewegungspläne besprechen. Auch Angehörige müssen über die Bedeutung der körperlichen Aktivitätserhaltung, gerade auch im Rahmen langfristig angelegter Therapiemaßnahmen informiert werden. Die therapeutisch verordnete „Schonung“ von Krebspatienten sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Dabei gilt es aber auch die individuellen Interessen und Vorlieben des Patienten zu berücksichtigen und keine generellen Verbote in Bezug auf einzelne Sportarten auszusprechen um eine Übertragung eines Verbotes auf die körperlich sinnvolle Aktivität im Allgemeinen zu vermeiden. Es scheint zunehmend wichtig über die Bedeutung einer spezifische Bewältigungs- und Handlungsplanung informiert zu sein, um das Wissen bezüglich einer gesundheitsfördernden Lebensführung dauerhaft im Alltag umsetzen und Patienten hinreichend motivieren zu können, verbindliche Aktivitäts- und Bewegungspläne aufzustellen und kontrolliert zu befolgen.

Somit scheint „jeder Sport“ für „jeden Krebspatienten“, durch den onkologisch versierten Therapeuten individuell angepasst, empfehlenswert zu sein.

Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.

Zusammenhang

Der Artikel ist die Zusammenfassung eines Vortrags anlässlich der Veranstaltung der Wilsede-Schule „Cancer Survivorship – oder wie sieht das Leben nach der Krebserkrankung und deren Behandlung aus“, 26.09.–28.09.2013 (https://www.wilsede-schule-akademie.de/cancersurvivorship.html).


Literatur

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[3] Baumann FT, Schüle K. Bewegungstherapie und Sport bei Krebs. Leitfaden für die Praxis. Köln: Deutscher Ärzteverlag; 2008.
[4] Courneya KS, Friedenreich CM, Hrsg. Physical activity and cancer. Springer: Heidelberg; 2011. (Recent Results in Cancer Research; 186). DOI: 10.1007/978-3-642-04231-7
[5] Dimeo F. Fatigue. Körperliche Aktivität als adjuvante Maßnahme während der Krebstherapie. Forum DKG. 2001;16(2):31-3.
[6] Dimeo F. Welche Rolle spielt körperliche Aktivität in der Prävention, Therapie und Rehabilitation von neoplastischen Erkrankungen? Dtsch Z Sportmed. 2004;55:177-82.
[7] Dimeo FC, Thiel E. Körperliche Aktivität und Sport bei Krebspatienten. Onkologe. 2008;14(1):31-7. DOI: 10.1007/s00761-007-1288-7
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[16] Schwarzer R, Lippke S, Siegelmann P. Health action process approach. Z Gesundheitspsychol. 2008;16(3):157-60. DOI: 10.1026/0943-8149.16.3.157